Streit um „illiberalen Staat“ geht weiter
30. Jul. 2014Presse und Internet brennen angesichts leidenschaftlicher Kommentare zu den umstrittenen Bemerkungen von Ministerpräsident Viktor Orbán förmlich lichterloh. Orbán hatte in Rumänien angekündigt, er werde einen „illiberalen Staat“ aufbauen, da sich die liberale Demokratie als Folge der Finanzkrise 2008 im Niedergang befinde.
Im dritten Meinungskommentar der linken Tageszeitung Népszabadság innerhalb von zwei Tagen zum Thema Orbán-Rede über das Ende der liberalen Demokratie (vgl. BudaPost vom 29. Juli) vergleicht Gábor Horváth den Ministerpräsidenten mit dem faschistischen italienischen Zwischenkriegsdiktator Benito Mussolini und erklärt, dass so etwas wie eine illiberale Demokratie nicht existiere. Er verwirft die Versicherung Orbáns, wonach er die Grundwerte des Liberalismus nicht verleugne. Vielmehr interpretiert Horváth die Botschaft der Rede als eine Ablehnung „der Schlüsselerrungenschaft der westlichen Zivilisation“. Das Beispiel Mussolinis sei keine echte Option, fügt der Autor hinzu, und äußert den Verdacht, dass sich der Ministerpräsident auf eine „mildere Form der Diktatur“ werde beschränken müssen.
Auf HVG online verteidigt Miklós Tallián den Liberalismus sowohl gegen den Regierungschef als auch gegen seine marktfeindlichen linken Kritiker. Er rügt ihr Hauptargument, wonach staatliches Eigentum im Bereich zentraler Dienstleistungen die beste Methode sei, dem Allgemeinwohl zu dienen. Auch weist Tallián die Äußerung Orbáns zurück, der zufolge die jüngste Finanzkrise vom Liberalismus verursacht worden sei. Tatsächlich sei die Finanzblase durch unrealistisch billige Hypothekenkredite mit staatlichen Garantien im Hintergrund immer weiter aufgepumpt worden. Der „Dritte Weg“ (also ein System weder kapitalistisch noch kommunistisch) „führt unweigerlich in die Dritte Welt“, warnt Tallián abschließend.
Im Leitartikel für Magyar Hírlap macht sich Gyula T. Máté über „Panikmacher“ unter links-liberalen Meinungsführern und Politikern lustig, die dem Ministerpräsidenten vorwerfen, er schaffe die Demokratie in Ungarn ab. In Wahrheit, so der Redakteur der regierungsnahen Zeitung, habe Viktor Orbán kein einziges Wörtchen über eine Abschaffung der Demokratie verloren. Er habe lediglich gesagt, dass die nach der Wende eingeführte Form des Kapitalismus für die meisten Ungarn nicht mehr hinnehmbar sei. Auch habe Orbán „gegenüber Wladimir Putin keine Untertanentreue geschworen“. Vielmehr habe er seinem Publikum erklärt, es wäre ein Fehler, würde man China und Russland nicht in Betracht ziehen und nicht „von dem lernen, was (dort) zweckdienlich sei“.
Ebenfalls in Magyar Hírlap nimmt der Wirtschaftswissenschaftler László Bogár das Konzept einer „illiberalen Demokratie“ gegen seine Kritiker in Schutz. In ihnen sieht er Krieger auf einer der Seiten „eines unbarmherzig geführten globalen Bürgerkriegs der Worte”, der das Ziel verfolge, „die öffentliche Rede unter Kontrolle“ zu bringen. Liberaler Diskurs habe die bisherige Regel gelautet und Bogár glaubt, dass sie bis vor vier Jahren praktisch einer Art Diktatur gleichgekommen sei, als die Fidesz-Regierung den Kampf „wenigstens gegen ihre zerstörerischsten Folgen“ aufgenommen habe. Kein Wunder, dass die Liberalen empört seien. Das, so schlussfolgert der Autor, sei einfach nur eine natürliche „Immunreaktion“ ihrerseits.