56er-Gedenkfeiern im Zeichen des Streits
25. Oct. 2013Analysten sämtlicher politischer Färbungen sind sich einig, dass die Politiker die Feierlichkeiten aus Anlass des Volksaufstandes von 1956 als Wahlkampfauftakt genutzt haben. Hinsichtlich der Botschaften wird sowohl den Linken als auch den Rechten vorgeworfen, die Gräben weiter vertieft zu haben.
In seiner Rede zum Jahrestag sagte Ministerpräsident Viktor Orbán, die Revolution sei von äußeren Mächten mit Unterstützung ungarischer Verräter niedergeschlagen worden. An die Teilnehmer des von regierungsfreundlichen Gruppierungen veranstalteten „Friedensmarsches“ gewandt, deutete Orbán an, dass die aktuellen Oppositionsparteien erneut mit ausländischen Mächten kooperierten und Ungarn Kolonisatoren ausliefern würden, wenn sie nur könnten. Er bat seine Zuhörer um Unterstützung seiner Regierung bei den Parlamentswahlen 2014 und damit um die Verteidigung der Errungenschaften der vergangenen dreieinhalb Jahre.
Die Kundgebung der Opposition am gleichen Tag endete mit einer unerwarteten Szene, als Teile der Demonstranten während der Rede des sozialistischen Parteichefs Attila Mesterházy mit Sprechchören reagierten. Auf die Forderung des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány eingehend hatten die Sozialisten und die Bewegung Gemeinsam 2014 von Gordon Bajnai auch liberale Sprecher sowie Gyurcsány selbst eingeladen, sich mit Botschaften an die Versammelten zu wenden. Dabei kritisierten drei Liberale das von Bajnai und Mesterházy geschmiedete Wahlbündnis scharf, während Gyurcsány es unverblümt undemokratisch nannte und sämtliche Oppositionsparteien dazu aufrief, einen neuen gemeinsamen Ministerpräsidentenkandidaten zu nominieren. MSZP-Sprecher Zsolt Török sagte, die Veranstaltung sei von der Demokratischen Koalition Gyurcsánys „gehackt“ worden.
Politiker sowohl des linken als auch des rechten Lagers scheinen darin übereinzustimmen, dass zwischen der Regierung und der Opposition kein Mittelweg existiere und sie die Wahl 2014 als Freiheitskampf ausrichten würden, kommentiert György Sebes in Népszava. Der linke Journalist glaubt, dass die Oppositionsführer entschlossen seien, gegen Orbán zu kämpfen. Allerdings empfindet er es als wenig zielführend, dass sie auch viel zu viel Zeit damit verbringen würden, sich gegenseitig zu kritisieren. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, die Demokratische Koalition von Gyurcsány in die linke Allianz einzubinden, merkt Sebes an, die Menge habe diese Möglichkeit deutlich befürwortet. Allerdings sei eine derartige Kooperation nicht möglich, falls sie von der MSZP abgelehnt würde. Mit Blick auf die Rede des Ministerpräsidenten beschuldigt Sebes Orbán der Geschichtsklitterung, indem er die aktuelle Regierungspolitik mit den Zielen der Revolution von 1956 vergleiche.
In Népszabadság vergleicht Miklós Hargitai die regierungsfreundlichen Demonstranten mit den begeisterten pro-kommunistischen Massen, die die offiziellen Veranstaltungen der Jahre vor 1989 besucht hatten. Der Kolumnist weist Angaben zurück, denen zufolge über eine halbe Millionen Menschen an dem Friedensmarsch teilgenommen hätten. Vielmehr hätten sich weniger Personen auf dem Heldenplatz versammelt als bei früheren Friedensmärschen, ist Hargitai überzeugt.
„Mit Blick auf die Gedenkfeiern existiert ein gewaltiger Gegensatz zwischen rechts und links“, schreibt Zsuzsanna Körmendy in Magyar Nemzet. Während Regierungschef Orbán hauptsächlich über die Revolution von 1956, nationale Unabhängigkeit und Freiheit gesprochen habe, hätten die Oppositionsparteien die Gelegenheit genutzt, um die aktuelle Regierung schlecht zu machen. Laut der regierungsfreundlichen Kommentatorin sollten sich die Anhänger Orbáns darauf vorbereiten, dass sie den brutalen und aggressiven Wahlkampf seitens der Linken zu überstehen haben werden.
In Magyar Hírlap äußert sich auch Gyula T. Máté enttäuscht darüber, dass sich die Oppositionsparteien selbst am Jahrestag damit beschäftigten, ihren internen Zwist auszufechten. Der konservative Kolumnist bezeichnet die Reden der linken Politiker als beängstigend und dröge. Er beschuldigt die Linke, sie wolle, „dass ein Kommissar des IWF die Verantwortung für das Land übernimmt, ein Parteibeschluss verabschiedet wird, der die Verfassung außer Kraft setzt, um die Interessen multinationaler Unternehmen zu befördern und die Ungarn vorbehaltlos zu Diensten von EU-Bürokaten sowie ausländischer Investoren arbeiten zu lassen, die das Land kolonisieren“.
Die Führer der Linken verfügten über kein anderes politisches Programm als die Ablösung der Regierung Orbán, schreibt György Vári in Magyar Narancs. Der politisch gemäßigte Experte glaubt, dass die einzige Botschaft der Linken laute, dass sich Orban vom Acker machen sollte. „Die Opposition hat vorgeführt, dass sie nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems ist“, stellt Vári fest.
Tags: 1956, Kommunismus, Wahlkampf