Regierungschef Orbán enthüllt Statue von István Bethlen
11. Oct. 2013Linksorientierte Analysten kommentieren die Rede des Ministerpräsidenten, die er bei der Enthüllung einer Statue von Isván Bethlen im Budaer Burgbezirk gehalten hat, und verweisen dabei auf die Tatsache, dass der Regierungschef der Zwischenkriegszeit kein Demokrat gewesen sei und er sein Amt inmitten einer massiven Finanzkrise aufgegeben habe. Eine Kolumnistin des rechten Spektrums glaubt, Bethlen sei eine von allen Seiten geschätzte historische Figur.
Die Regierung schaue sich in der Vergangenheit nach Idolen um, wobei István Bethlen nur das jüngste Beispiel einer ganzen Reihe von Personen sei, aus der sich die Rechte serienweise potenzielle Ikonen auserkoren habe, nur um dann jeweils festzustellen, dass Demokraten mit deren jeweiliger Vergangenheit kaum stolz herumwedeln könnten, stellt Zoltán Borotányi in Magyar Narancs fest. So habe es Versuche gegeben, Admiral Horthy, den Reichsverweser Ungarns in der Zwischenkriegszeit, „heilig zu sprechen“. Es folgten Pál Teleki (Horthys Ministerpräsident der Jahre 1920/21 und 1939 bis 1941) sowie mehrere rechtsgerichtete Schriftsteller, die sich als Antisemiten oder unumwunden Nazi-freundlich entpuppt hätten. Bei Bethlen lägen die Dinge anders, denn er sei ein Gegner der Nazis und des Holocausts gewesen, obgleich er in den 1920er Jahren ebenfalls von einer existierenden „Judenfrage“ ausgegangen sei. Alles in allem jedoch habe er das allgemeine Wahlrecht abgelehnt und eine autoritäre Spielart des parlamentarischen Systems befürwortet, das grundsätzlich von ein und derselben konservativen Partei geführt wird. Und so wirft Borotányi Ministerpräsident Orbán vor, er mache sich dessen Erbe vor allem aus diesem besonderen Grund zu eigen.
In Galamus äußert der Wirtschaftswissenschaftler Péter Mihályi die Ansicht, Orbán läge falsch, wenn er behauptet, während der Regierungszeit István Bethlens als Ministerpräsident (1921 bis 1931) sei „die Ordnung wiederhergestellt worden und die Wirtschaft erstarkt“. Mihályi verweist darauf, dass die Investitionen Bethlens in die Wirtschaft mittels einer gewaltigen Kreditlinie des Völkerbundes finanziert worden seien. Doch habe er letztendlich angesichts des tragischen Zustands der Wirtschaft zurücktreten müssen. Und tatsächlich sollte die Regierung einige Monate später ihre Schulden nicht mehr begleichen können.
In Magyar Nemzet räumt Zsuzsanna Körmendy ein, dass das Jahrzehnt mit Bethlen als Ministerpräsident mit einem finanziellen Zusammenbruch geendet habe, doch sei dieser von der Weltwirtschaftskrise verursacht worden. Wie die Autorin weiter schreibt, sei der Versuch möglicherweise müßig, Traditionen und historische Figuren ausfindig zu machen, die im öffentlichen Leben einen gemeinsamen Nenner versinnbildlichen können – dazu noch so kurz vor den nächsten Wahlen. Dennoch sollte Bethlen für alle Seiten akzeptabel sein. Seine konservative Grundhaltung habe ihn jeglichen Extremismus ablehnen lassen und es sei ihm gelungen, das Land aus Nachkriegs- und nachrevolutionärem Chaos herauszuführen und wiederzubeleben. Während seiner Regierungszeit sei die Industrieproduktion um 70 Prozent gestiegen und „wir wurden zu einem der entwickelten Länder Europas“. Neben seiner Rolle als Nazi-Gegner verweist Körmendy auch auf die Tatsache, dass das Krankenversicherungssystem (für öffentliche Bedienstete) fortschrittlicher gewesen sei als das britische jener Zeit. Die einzige Frage laute, ob Ungarn „eine Gruppe historischer Figuren benötigt, die von allen Seiten akzeptiert wird“. Falls Leute wie Bethlen gebührend honoriert würden, fiele es den Ungarn leichter, zwischen positiven und negativen Akteuren und Taten im heutigen Ungarn zu unterscheiden.
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