Ex-Agent der Spionageabwehr künftig Staatssekretär
26. Jun. 2014Das Personal des einstigen kommunistischen Geheimdienstes habe niemals wirklich die politische Bühne Ungarns verlassen. Diese Einschätzung vertreten liberale Kommentatoren und begründen dies mit dem mangelnden Willen sämtlicher Kabinette, die Agenten auch loszuwerden. Zuvor bereits hatte ein führender Vertreter des regierungsfreundlichen Lagers und einer der Organisatoren der „Friedensmärsche“ das Ausscheiden des jüngst ernannten Staatssekretärs aus dem Innenministerium gefordert.
László Tasnádi war in der vergangenen Woche von Innenminister Sándor Pintér zum für den Polizei- und Strafvollzugsdienst zuständigen Staatssekretär berufen worden. Tasnádi diente einst als hochrangiger Agent des kommunistischen Geheimdienstes und war für Operationen im Bereich ungarischer Diplomaten zuständig. Zudem war er Kontrolloffizier von Stasi-Mitarbeitern, die Kultur- und Jugendorganisationen ausspionieren sollten. So war er beispielsweise als Führungsoffizier von Spitzeln aktiv, die über die berühmte Wiederbestattung von Imre Nagy am 16. Juni 1989 zu berichten hatten. Auf dieser Veranstaltung hielt Viktor Orbán seine erste wichtige politische Rede. Der Hintergrund Tasnádis war bereits 2009 von der Mitte-Rechts-Wochenzeitung Heti Válasz bekanntgemacht worden, doch erst in dieser Woche enthüllte Index.hu seine Rolle im Rahmen der Wiederbestattungszeremonie. Tasnádi hatte in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren vor seiner Berufung immer wieder in verschiedenen Regierungsbehörden sowie bei der Polizei gearbeitet. Die Organisatoren der regierungsfreundlichen „Friedensmärsche“ haben nun eine Stellungnahme herausgegeben und darin den Staatssekretär zum Rücktritt aufgefordert. Sollte er diesen verweigern, drohten sie mit einer Demonstration.
In Népszabadság verweist Sándor Révész darauf, dass Tasnádi von sämtlichen Regierungen auf verschiedene sensible Positionen berufen und lediglich einmal seines Postens enthoben worden sei, nämlich als er 2002 als Chef der Steuerbehörde Informationen an Oppositionspolitiker (und andere Personen) weitergegeben hatte. Für Révész ist Tasnádi ein Symptom dafür, wie Ungarn mit dem früheren Apparat der Staatssicherheit und dessen Erbe umgegangen sei: Diejenigen, die eine komplette Offenlegung der Arbeit oder die Auflösung der Organisation gefordert hätten, seien stets in der Minderheit gewesen. Weder hätten der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Medgyessy noch Personen mit einer vergleichbaren Vergangenheit politisch zu leiden gehabt – die öffentliche Meinung sei in Ungarn einfach nicht hellhörig genug für derartige Angelegenheiten, resümiert der Autor.
In Heti Világgazdaság äußert sich regelmäßig ein Kommentator unter dem Pseudonym Elec Tokfalvi (eine spielerische Übersetzung von Alexis de Tocqueville). Er geht in dieser Frage noch einen Schritt weiter und listet eine Anzahl von Politikern und Beamten auf, die einst in Verbindung zum kommunistischen Geheimdienst gestanden hatten und dennoch in den Schoß des Fidesz aufgenommen wurden. Der bekannteste von ihnen ist der ehemalige Außenminister János Martonyi, der mehrere Gerichtsverfahren gegen Autoren gewonnen hatte, von denen er als Agent bezeichnet worden war. Die Justiz hatte ihn ungeachtet verschiedener für die Gegenspionage verfasster Berichte von dieser Anklage freigesprochen. Ganz allgemein würden ehemalige Agenten nur dann als unerwünscht gelten, wenn politische Interessengruppen sie für nicht vertrauenswürdig erachteten – weshalb also sollte Tasnádi dann ein Problem sein?, fragt Tokfalvi eher rhetorisch.
Den ersten Pressekommentar in dieser Frage hatte es bereits am vergangenen Samstag gegeben, als sich Zsolt Bayer, ein wichtiger Experte der rechtsorientierten Tageszeitung Magyar Hírlap sowie einer der Organisatoren der regierungsfreundlichen Friedensmärsche, in Form einer leidenschaftlichen Schmähschrift gegen den neuen Staatssekretär wandte. Falls die Behauptungen von Index der Wahrheit entsprächen, „dann müssen wir zum Reißbrett zurückkehren“, fordert Bayer und fährt fort, falls der Fidesz es ernst meine, könne er in seiner Regierung keinen ehemaligen Offizier der Gegenspionage tolerieren. „Etwas muss unbeschädigt bleiben!“, ruft Bayer pathetisch aus.
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