Nach der Europawahl: Umwälzungen bei der Linken
2. Jun. 2014Hat die MSZP mit der Einberufung eines Parteitages für Mitte Juli die richtige Entscheidung getroffen oder handelt es sich dabei lediglich um das letzte Rückzugsgefecht einer gescheiterten Führungsmannschaft? Diese Frage spaltet die Gemüter. Die Analysten glauben zudem, dass der Fidesz mit seinen geplanten Änderungen des Kommunalwahlrechts die Linke in Budapest in eine prekäre Situation manövriert. Dabei bleibt für die Beobachter unklar, was die linken Parteien tun könnten, um mehr Wählerstimmen für sich zu gewinnen, anstatt sie sich gegenseitig abspenstig zu machen.
Auf der Onlineplattform Origo äußert sich Szabolcs Dull überzeugt, dass Attila Mesterházy und seine Verbündeten den Parteivorstand der Sozialisten gezwungen haben, ein landesweites Neuwahlverfahren bei der untersten Ebene beginnend bis zur Spitze durchzuführen. Deren Gegner hätten es dagegen lieber gesehen, wenn bis zu den im Oktober stattfindenden Kommunalwahlen eine Interimsführung die Geschicke der Partei leiten würde. Sechs Spitzenfunktionäre hätten ihren Rücktritt erklärt und seien damit dem Beispiel Mesterházys gefolgt. Nach Ansicht Dulls werde ein lang anhaltendes Machtvakuum sie in die Lage versetzen, die Führung der sozialistischen Parlamentsfraktion zu bestimmen. Die Partei bliebe außen vor. Mit anderen Worten, die Gruppe um Mesterházy habe gar nicht komplett kapituliert – und das ungeachtet der Tatsache, dass sie inmitten des von der zweiten aufeinanderfolgenden schweren Wahlschlappe ausgelösten Aufruhrs zum Rückzug gezwungen gewesen sei.
Für Népszabadság hingegen stellt die MSZP mit der Order, die Parteigremien auf sämtlichen Ebenen neu zu besetzen, unter Beweis, dass sie den Ernst der Lage erkannt habe. Eine grundlegende Erneuerung des Führungspersonals sei der einzige Weg, um die neue Führungsspitze zu legitimieren, heißt es im Leitartikel der führenden linksorientierten Tageszeitung. Jetzt dürfe die MSZP die Folgemaßnehmen keinesfalls vermasseln, womit die Leitartikler meinen, dass die Gruppierungen, die hinter den sich um Führungsposten bewerbenden Kandidaten stehen, kompromissfähig und zum Zusammengehen bereit seien sollten. Schafften sie das nicht, „dann wird das das Ende bedeuten“. Schafften sie es, dann wiederum blieben ihnen sämtliche Möglichkeiten, um künftig alles zu erreichen, sind die Népszabadság-Autoren zuversichtlich.
„Ich kam, um die MSZP zu beerdigen, nicht um sie zu feiern“, schreibt Zsuzsanna Körmendy in Magyar Nemzet in Anlehnung an Antonius aus dem Shakespeare-Drama Julius Caesar. Und in der Tat feiert die Autorin die Sozialistische Partei wahrlich nicht, denn die MSZP habe niemals wirklich die Interessen ihrer potenziellen Wählerklientel vertreten. Stattdessen habe sie sich „in den Dienst globaler Finanzmächte gestellt“. Demnach sei es nicht verwunderlich, dass die ungarische Demokratie „sie so abgeschüttelt hat, wie sich ein Hund vom Wasser trocken schüttelt“. Körmendy stimmt denjenigen ihrer rechten Kollegen ausdrücklich nicht zu, die während der gesamten Zeit Mesterházys an der Parteispitze Verständnis für ihn aufgebracht hatten. „Es ergibt keinen Sinn, wenn die Rechte Tränen um ihn vergießt. Zumindest hier bei uns sollte er nicht als Held stilisiert werden“. Mesterházy habe einfach nicht das Format einer Führungspersönlichkeit besessen und geglaubt, eine Partei könne mit zweitklassigen Politikern erneuert werden. In den Augen Körmendys war Mesterházy für den Posten ausgewählt worden, um gute Mine zu einem bösen Spiel zu machen, während die echten Kandidaten des internationalen Big Business, Bajnai und Gyurcsány, geduldig auf ihre Chance lauerten.
Matild Torkos, eine andere Spitzenkommentatorin von Magyar Nemzet, gibt sich in der Druckausgabe ihrer Zeitung entrüstet. Objekt ihres verbalen Unmuts sind die Bilderberger, eine Gruppierung einflussreicher Persönlichkeiten aus aller Welt, die Gordon Bajnai als einzigen Vertreter Ungarns zu ihrem alljährlichen informellen Treffen eingeladen haben. Torkos sieht in dieser Geste ein klares Signal Richtung Viktor Orbán, dessen Politik in diametralem Gegensatz zu dem stehe, was multinationale Firmeneigentümer, Manager und Banker repräsentierten. Falls die Bilderberger den vom Weltkreis einzuschlagenden Kurs beeinflussen wollten, dann sollte man nicht hinter verschlossenen Türen agieren und den Teilnehmern verbieten, über dort Gesehenes und Gehörtes zu sprechen, fordert die Journalistin der konservativen Tageszeitung.
In Figyelő vertritt der Politologe Gábor Filippov die Ansicht, dass die Krise der MSZP es weder Bajnai noch Gyurcsány ermöglichen werde, die aktuelle Regierung erfolgreich herauszufordern. Für keinen von beiden lohne sich der Versuch, die Sozialistische Partei nach dem Sturz Mesterházys zu erobern, da sie nicht auch die Parlamentsfraktion übernehmen könnten. Eine Fehde zwischen der Partei und ihren Abgeordneten würde für beide fatale Risiken beinhalten, glaubt Filippov. Auch dürfte es ihnen schwerfallen, ihre Kräfte für ein Zerbröseln der MSZP-Überbleibsel zu bündeln, denn ein solcher Pakt würde erhebliche Glaubwürdigkeitsprobleme heraufbeschwören, vor allem für Bajnai, der ja in die Parteipolitik eingestiegen sei, um „mit der Vergangenheit zu brechen“, von der Gyurcsány ein prominenter Vertreter sei. Wie dem auch sei, hätten alle drei Parteien ein gemeinsames Problem: Sie könnten sich gegenseitig Wählerstimmen wegschnappen, doch sei es ihnen bislang nicht gelungen, neue Wählerschichten zu integrieren. Gegenwärtig sei eine Lösung dieses Problems nicht absehbar, resümiert Filippov.
Károly Lencsés von Népszabadság befasst sich mit dem neuen, für die Wahl der Stadtverordnetenversammlung von Budapest vorgeschlagenen Verfahren. Der Autor stellt dabei fest, dass das Fidesz-Vorhaben für die linke Opposition keine positiven Optionen bereit hielte. Statt der bisherigen 50 über Parteilisten gewählten Stadtverordneten würde sich die neue Versammlung aus den 23 Stadtbezirksbürgermeistern zusammensetzen. Neun weitere Sitze würden proportional an Parteilisten vergeben, und zwar im Verhältnis zu den „verlorenen“ Stimmen, die für ihre jeweiligen Bürgermeisterkandidaten bzw. für den Oberbürgermeisterkandidaten abgegebenen wurden. Dieses System würde die Linksparteien zwecks gemeinsamer Kandidatur erneut in eine Fusion zwingen, ganz nach dem Muster, wie sie es vor den Parlamentswahlen zu ihrem größten Bedauern getan hatten. Unter Verweis auf linke Experten schreibt Lencsés, das neue System sei entworfen worden, um eine Fidesz-Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung selbst dann zu sichern, falls sich eine relative Mehrheit der Wähler für die Linke entscheiden sollte. In der Tat sei es wahrscheinlich, dass der Fidesz mehr Bürgermeister durchbringen werde als die Linke. Und da sich die Anzahl der Wahlberechtigten von Bezirk zu Bezirk erheblich unterscheide, könnte die Regierungspartei die Mehrheit der 32 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung erringen, selbst wenn die Mehrheit der Wähler nicht hinter ihr stünde, spekuliert Lencsés.
Die Opposition solle aus Protest gegen die geplanten Veränderungen die im Herbst stattfindenden Wahlen boykottieren, fordert János Dési in Népszava. Zur Zeit sei die Linke viel zu sehr mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigt, doch werde der Tag kommen, an dem man darüber nachdenke, wie sie die Stadt Budapest zurückgewinnen könne. Dann werde sie es mit einem neuen Gesetz zu tun haben, das – so Dési – dem Fidesz eine maßgebliche Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung garantiere, selbst wenn lediglich eine Minderheit des Wahlvolkes für ihn gestimmt habe. „Wenn die Linke erst einmal ihren männlichen Kampf zur Frage, wer wen besiegt, überstanden hat“, fährt Dési fort, „dann sollte sie sich vielleicht zu einem Boykott dieser Wahlen entschließen“. Zur Begründung schreibt der Autor: „Immerhin könnte ein gut geplanter und gut kommunizierter Boykott der Welt vielleicht signalisieren, dass es sich bei dem, womit sie es hier zu tun hat, um einen klaren Fall von Despotie handelt.“
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