Juncker zum Chef der EU-Kommission gewählt
17. Jul. 2014Laut der Einschätzung linker Beobachter war der Widerstand von Ministerpräsident Viktor Orbán gegen die Kandidatur Junckers sinnlos, während ein führender Christdemokrat die Hoffnung äußert, dass ungeachtet entgegengesetzter Anzeichen Juncker den Weg der Erneuerung einschlagen und damit die EU bewahren werde.
Népszabadság widmet dem Thema ihren Leitartikel auf der Titelseite und räumt dabei ein, dass sich Gründe gegen die Wahl des ehemaligen Luxemburger Regierungschefs zum Präsidenten der Europäischen Kommission finden ließen. Als unangemessen bezeichnen die Leitartikler jedoch das von der ungarischen Regierung vorgebrachte Argument, wonach die ehemalige luxemburgische EU-Kommissarin Viviane Reding Ungarn systematisch herausgepickt habe, um es zu kritisieren. Népszabadság spekuliert, dass sich die Regierung in Budapest im Falle künftiger Konflikte jedweder Art mit der Europäischen Kommission in ihrer Ablehnung der Kandidatur Junckers bestätigt fühlen könnte.
In Népszava bezeichnet Mária Gál den ungarischen Regierungschef als schlechten Verlierer, denn er habe es im Gegensatz zum britischen Premier Cameron unterlassen, dem neuen Kommissionspräsidenten zu seiner Wahl durch das Europäische Parlament telefonisch zu gratulieren. (Cameron äußerte sich nach der Wahl mit kritischen Worten und sagte, das Abstimmungsprozedere lasse Erinnerungen an den Kommunismus aufkommen, denn es habe lediglich ein Kandidat zur Wahl gestanden – Anm. d. Red.) Gál nimmt dann ein weiteres von den Ungarn vorgebrachtes Argument aufs Korn: So habe Orbán die Kandidatur Junckers deswegen abgelehnt, weil er genau dies seinen Wählern versprochen hatte. Doch eine derartige Zusage habe es nie gegeben, stellt die Autorin feste. (Zum „Anti-Juncker-Versprechen“ des Ministerpräsidenten vgl. BudaPost vom 19. Juni).
Mit dem ehemaligen Europaabgeordneten László Surján meldet sich in Magyar Hírlap auch ein Politiker zu Wort. Der stellvertretende Chef der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) erinnert an ein drittes von der ungarischen Regierung gegen die Kandidatur Junckers ins Feld geführte Argument: Es verstoße gegen den Vertrag von Lissabon, dass der Europäische Rat gezwungen worden sei, sich für den Kandidaten des Europaparlaments einzusetzen. Laut dem Vertrag hätte es genau umgekehrt sein sollen: Die Nominierung hätte, so Surján, durch den Rat erfolgen sollen. Doch will er Juncker nicht vorschnell aburteilen. Die Europäische Union stecke in einer tiefen Krise und benötige gründliche Reformen, wobei der Drang zu immer größerer Zentralisierung umgekehrt werden sollte, schreibt Surján weiter. Falls Juncker fortfahre, sich den Wünschen aller Seiten anzupassen, so wie er es für seine Wahl praktiziert habe, werde „die Union der Stagnation der Breschnew-Ära immer ähnlicher und gemeinsam mit Juncker im Ausguss der Geschichte landen“. Falls Juncker jedoch die notwendigen Reformen angehen sollte, könnte er zum Retter der Europäischen Union werden, prophezeit Surján.
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