Streit über die Budapest Pride
7. Jul. 2014Am Vorabend der alljährlichen Budapest Pride-Parade vermuten konservative Kolumnisten, dass die Schwulenbewegung von einem militanten Kern übernommen worden sei, der der Mehrheit seine Weltsicht aufzwingen und jene zum Schweigen bringen wolle, die nicht mit ihm übereinstimmten. Liberale Kommentatoren wiederum werfen konservativen Verteidigern traditioneller Werte und der Familie aus dem religiösen Bereich vor, sie würden althergebrachte Homophobie in neuem Gewand präsentieren.
Es sei zum Trend geworden, sich als Schwuler zu bekennen, kommentiert Ervin Nagy in Magyar Hírlap das kürzliche Comingout von Zoltán Lakner. Der Politologe hatte angekündigt, die diesjährige Budapest Pride-Parade am Samstag zu eröffnen. Jene, die Homosexualität nicht feierten, riskierten als dumm, rückwärtsgewandt oder sogar als faschistisch gebrandmarkt zu werden, kritisiert Nagy. In der heutigen Welt sei es mutiger, sich zum die traditionelle Ehe und Familie befürwortenden Konservativen zu bekennen, als offen die eigene Homosexualität zu outen. „Wir sollten mehr tun, um die Rechte jener zu schützen, die in traditionellen Familien leben möchten und sich in unseren individualistischen Konsumgesellschaften unter ständigem Beschuss befinden“, meint der konservative Philosoph.
In Heti Válasz verteidigt Szilárd Szőnyi sein Recht als konservativer Katholik, Homosexualität als „Sünde gegen Gott und den Menschen“ zu betrachten. Trotz seines moralischen Urteils toleriere er Homosexuelle im privaten Leben und begrüße es, dass gleichgeschlechtliche Paare ihre Lebenspartnerschaft offiziell eintragen lassen können. Jedoch verurteile er sämtliche Form der öffentlichen Zurschaustellung jeglicher sexueller Präferenzen. Dies beinhalte auch heterosexuelle Veranstaltungen von der Art der Loveparade. Szőnyi verurteilt eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Doch verlangt er auch, dass jene, die Homosexualität für eine moralische Sünde hielten, das Recht hätten, ihre Meinung zu äußern, ohne dafür diskriminiert zu werden. Indes hätten jedoch einige westliche Länder Werbespots von Organisationen verboten, die behaupteten, Homosexualität könne und sollte psychiatrisch behandelt werden. Schließlich ruft der Autor in Erinnerung, dass die Evangelisch-lutherische Kirche in Dänemark gezwungen sei, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen, auch wenn dies ihrer eigenen religiösen Lehre widerspräche.
Ebenfalls in Heti Válasz interpretiert Chefredakteur Gábor Borókai kürzlich erfolgte „Comingouts“ von bekannten öffentlichen Persönlichkeiten als Anzeichen dafür, dass Homosexuelle in Ungarn keine Diskriminierung zu fürchten hätten. Ungarn sei immer eine inklusive Nation gewesen, die Diversität toleriert habe – vorausgesetzt, die Minderheiten würden auch die Weltanschauungen der Mehrheit tolerieren. Gegenseitiger Respekt, meint der Autor, werde „von einem militanten Kern“ unter den Aktivisten der Schwulenrechte nicht immer praktiziert“, der „auf aggressive Weise die Traditionen einer jeden Gesellschaft umschreiben“ wolle und all seine Kritiker als homophobe Hinterwäldler beschimpfen würde. Borókai fragt sich, „warum Homosexuelle, die sich outen, als Helden angesehen werden sollten, während sich jene, die ihr heterosexuelles Selbst nicht aufgeben wollen, als feige Bastarde zu fühlen haben“.
Der Autor vermutet ebenfalls, dass der „militante Kern“ der Aktivisten von versteckten politischen Kräften als Speerspitze benutzt werde, um deren finanziellen Interessen zu dienen, indem man traditionelle Gemeinschaften als rückständig und homophob bezeichne, gegen die es legitim sei, die aufgeklärte und entwickelte Welt zu Hilfe zu rufen. „Bei der ganzen Sache geht in erster Linie nicht um Homosexuelle, sondern vielmehr darum, traditionelle Gemeinschaften zu zerstören und zu zerbrechen“, schließt Borókai seine Ausführungen.
In seinem ganzseitigen Wochen-Leitartikel bezeichnet Magyar Narancs die konservative Verteidigung traditioneller Werte als nichts anderes als eine geringfügig angepasste klassische Homophobie. Das liberale Wochenblatt lehnt die Behauptung als lächerlich ab, wonach der Schutz von Familien (also die Eindämmung von Homosexualität) auch den Interessen der Homosexuellen selbst dienen würde, da deren Renten von den Nachkommen dieser Familien bezahlt würden. In Wahrheit würden Homosexuelle von ihren Einkünften ebenfalls Rentenversicherungszahlungen leisten. Das Wochenblatt betrachtet es als höchst geschmacklos, wenn Konservative behaupteten, sie würden jene Homosexuellen tolerieren, welche „die Klappe halten“ und ihre sexuellen Präferenzen verstecken würden.
Mit Blick auf den erwähnten Beitrag von Szilárd Szőnyi findet es Magyar Narancs eigenartig, dass anti-homosexuelle Konservative, die behaupteten, Homosexualität sei gegen die Gesetze der Natur, „ausflippen“, wenn sie „in der selben harschen und kategorischen Art und Weise“ kritisiert würden. Magyar Narancs kommt zu dem Schluss, dass Szőnyis „boshaftes und dummes“ Getöse den Geist der Regierung widerspiegele, die Ungarn als ein Land der christlichen Heterosexuellen mit Kindern definieren wolle – und jeden bekämpfe, der nicht in diese Beschreibung passe oder Ministerpräsident Orbán kritisiere.
Während der britische Premierminister David Cameron die Gay Pride begrüße und offen gleichgeschlechtliche Ehen befürworte, behaupteten ungarische Politiker und Intellektuelle aus dem rechten Spektrum, dass Schwulenaktivisten eine gewalttätige und abartige Minderheit seien, die der Mehrheit ihre Weltsicht aufzwingen wollten, schreibt Dóra Ónody-Molnár in Népszabadság. Während die Gay Pride im Vereinigten Königreich eine Feier der institutionalisierten Freiheit der Homosexuellen sei, stelle dieselbe Demonstration in Ungarn einen politischen Vorgang dar, der auf die Anerkennung der Gleichberechtigung von Homosexuellen abziele, notiert die liberale Kolumnistin. Nebenbei fragt sie sich, ob religiöse Konservative, die Homosexualität als Sünde betrachteten, dann auch so konsequent seien und andere biblische Sünden wie Masturbation, vorehelichen Sex oder Scheidung verurteilen (und sich dessen auch enthalten) würden.
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