Kampf um Imre Kertész
18. Aug. 2014Linksorientierte Kolumnisten beklagen, dass die Regierung den Versuch unternehme, den Literaturnobelpreisträger in das eigene Lager zu locken, obwohl sein Platz doch auf Seiten der Opposition sei. Ihre regierungsfreundliche Kollegin wiederum weist derartige „Eigentumsansprüche“ von sich und fordert gleichzeitig die rechten Kritiker von Kertész zum Friedensschluss mit ihm auf.
Népszabadság beschäftigte sich zwei aufeinanderfolgende Tage mit dem Thema, nachdem bekannt geworden war, dass Imre Kertész am 20. August, dem Nationalfeiertag, die höchste staatliche Auszeichnung zu erwarten habe (vgl. BudaPost vom 16. August). Für György Vári ist die Sache klar: Das Regierungslager versuche sich Kertész anzueignen und ihre Strategie der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen, in deren Rahmen sämtliche Opfer des Nazismus gleichermaßen geehrt werden sollten und der zufolge der Holocaust Ausdruck des bösartigsten in der menschlichen Existenz vorhandenen Übels sei und „somit eher einen als entzweien sollte“. Der Autor erinnert daran, dass die schärfsten Kritiker Imre Kertészʼ bei den Rechten zu suchen seien. Es sei jenes Lager, aus dem man seine deutlichen Worte über das heutige Ungarn am vehementesten zurückgewiesen habe.
Auf der Titelseite der gleichen Tageszeitung gibt der Leitartikel zu bedenken, dass man einzig die Vorstellung, Kertész könnte die Annahme der Auszeichnung verweigern, sofort aufgeben müsse. „Es spielt keine Rolle, falls er sie annimmt. Warum sollte er auch nicht?“, fragen die Leitartikler. Was sich auch immer rechte Koryphäen mit Blick auf ihn einfallen ließen, „er wird unser bleiben. Er wird uns gehören, seinen Lesern“, stellt Népszabadság fest.
Als traurig bezeichnet es Zsuzsanna Körmendy in Magyar Nemzet, dass eine Geste des Respekts seitens der Regierung eine Welle von Angriffen lostreten sollte, die nicht nur die Regierung beleidige, sondern auch Kertész persönlich. Es seien solche Gelegenheiten, bei denen Großmut herrschen sollte – auf beiden Seiten. Körmendy macht ihre Gefolgsleute aus dem rechten Spektrum, die gegen die geplante staatliche Auszeichnung für Kertész protestieren, auch darauf aufmerksam, dass sie den großen Schriftsteller in ihm respektieren und ihm die bitteren Äußerungen über Ungarn und darüber, „dass er kein Ungar sei“, verzeihen sollten. Er habe sich zur Annahme der Auszeichnung aus dem gleichen Grunde entschlossen, der ihn zur Rückkehr nach Ungarn und zur Heilbehandlung hierzulande anstatt in den besten deutschen Klinken bewegt habe. Dies sei sein Land. Und „er ist unser erster Schriftsteller, der einen Nobelpreis erhalten hat. Möge er nun das sein, was am wichtigsten ist. Solange er noch unter uns weilt“.
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