Einparteiensystem im Werden?
6. Oct. 2014Eine Woche vor den Kommunalwahlen erkennen die Kommentatoren auf beiden Seiten der das Land spaltenden politischen Frontlinie Kritikwürdiges. Uneinigkeit besteht aber über den Charakter des von einer Mehrheit gestalteten Politikmodells, dem zunehmend eine kraftvolle Opposition abhanden kommt.
In ihrer Titelgeschichte für HVG unterstellt die Politologin Mária Csanádi dem Fidesz, er werkele an einem Einparteiensystem ähnlich dem kommunistischen Regime früherer Jahrzehnte. Zum Beleg ihrer These verweist sie auf eine jüngst herausgegebene Verfügung, wonach Parteimitglieder Spitzenposten in öffentlichen, mit der Finanzierung von Exportgeschäften betrauten Institutionen übernehmen dürfen. Die Autorin glaubt, die regierende Partei dehne ihre Aktivität in den Bereich Wirtschaft aus, was „zur sich vollziehenden Etablierung eines Parteienstaatssystems passt“. Sie vergleicht das Geschehen mit der Art und Weise, in der die Kommunistische Partei in den frühen 1950er Jahren die Kontrolle über sämtliche Lebensbereiche übernommen hatte. Zwar vollziehe sich kein radikaler Verstaatlichungsprozess, dennoch entwickle sich der Fidesz zur einzigen politischen Kraft in der politischen Arena. Csanádi geht sogar so weit, das heutige Ungarn im Hinblick auf die Überlagerung von politischen und geschäftlichen Einflüssen mit der stalinistischen Ära sowie dem China unter Mao Tse-tung zu vergleichen.
In einer Replik auf die Thesen von Csanádi schreibt András Bódis in Heti Válasz, „die Leser von HVG sind sicher intelligenter als sie“. Für Bódis ist die Behauptung absurd, wonach der Fidesz ein Einparteiensystem aufbaue, seien es doch die linken Parteien, die sich allmählich selbst auflösten. Der Autor zählt die einzelnen linken Parteien mit ihren aktuellen Nöten und Misserfolgen auf und beginnt bei der MSZP, die nicht einmal über einen Oberbürgermeisterkandidaten für Budapest verfüge: Während die landesweite Parteiführung eine Unterstützung des konservativ-liberalen Lajos Bokros ablehne, seien die Budapester Spitzengenossen bereit, für ihn in den Wahlkampf zu ziehen. Angesichts dieser Tatsache geht Bódis davon aus, dass die MSZP nach den Kommunalwahlen vor dem auseinanderfallen stehen werde.
Gemeinsam und PM seien auf dem Papier zwar noch eine Partei, hätten sich aber über die gleiche Angelegenheit zerstritten. Angesichts des Rückzugs des ehemaligen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai aus der Politik sei diese Partei wie „die klassische Fernsehserie Dallas ohne J.R. Ewing“. Die Demokratische Koalition existiere als eine Partei, doch sei deren Chef Ferenc Gyurcsány eine zu polarisierende Persönlichkeit, als dass sie jemals eine Gefahr für Ministerpräsident Viktor Orbán darstellen werde. Die Partei von Bokros sei „für das bloße Auge unsichtbar“, genau wie die kleine Liberale Partei. Die LMP habe lediglich einen auffallenden Politiker an Bord, demnach sei sie als Partei nicht existent. „Und angesichts all dessen glaubt HVG, dass es der Fidesz ist, der ein Einparteiensystem aufbaut“, vermerkt Bódis abschließend ironisch.
In seinem allwöchentlichen Leitartikel warnt der Chefredakteur von Heti Válasz, Gábor Borókai, davor, dass die Schwäche der Opposition Regierungspolitiker auf moralisch glattes Terrain führen könnte. „Eine von Selbstbewusstsein strotzende und hochmütige Gruppe“, die sich jenseits moralischer Regeln wähne, erwerbe teure Immobilien, fahre Luxusautos, feiere mehrere zehn Millionen teure Geburtstagspartys und empfinde es sogar noch als in Ordnung, all das in der Presse zu verbreiten, „obwohl ihre Ressourcen zumindest fraglich sind“. Es sei höchste Zeit für eine Warnung an ihre Adresse, dass das Recht für jedermann gelte, fährt der Journalist fort. Die Probleme begännen, wenn sich Moral und Mäßigung „aus dem System verabschieden“, schlussfolgert Borókai und entwirft ein mögliches Szenario, bei dem der Wähler unmoralischen Lenkern überdrüssig wird und sie davonjagt.
Linksliberale Kommentatoren erkennen in dem Artikel von Borókai direkte Bezüge auf wichtige Persönlichkeiten, obwohl sie alle namentlich ungenannt bleiben. Auf 444 äußert Bencze Horváth die Vermutung, dass dazu der neu ernannte Außenminister, der für das Amt des Regierungschefs zuständige Minister, der Parlamentsfraktionschef des Fidesz sowie der für die Subventionierung von Spielfilmen Verantwortliche gehörten.
Der Chefredakteur von Cink hegt ebenfalls den Verdacht, dass es sich bei einer der vom Heti Válasz-Chefredakteur in Visier genommenen Personen um den Außenminister handele. László Szili empfiehlt den Leitartikel Borókais „den Fidesz nicht unterstützenden Lesern“, die überzeugt seien, dass die Regierungsseite ausschließlich aus engstirnigen Leuten bestehe, die einer Gehirnwäsche unterzogen worden seien und in einer alternativen Wirklichkeit lebten.
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