Linken-Drama überschattet Kommunalwahlen
13. Oct. 2014In ihren letzten Kommentaren vor den Kommunalwahlen vom Sonntag sind sich alle Analysten einig: Die erdrückende Überlegenheit des Fidesz ist größtenteils auf die tiefe Krise der linken Opposition zurückzuführen. Die meisten Beobachter sind sich nicht einmal sicher, ob irgendwann in naher Zukunft eine signifikante Linke zurückkehren werde.
In Népszabadság vergleicht Ákos Tóth die Linke mit einem Boxer, der angezählt wird, sich bei acht wieder aufrappelt, die Fortsetzung des Kampfes erwartet und versucht, in den verbleibenden Minuten keinen Knockout mehr verpasst zu bekommen. Ein Comeback nach einem Knockout sei ein Privileg der Größten, doch zu ihnen gehöre die Linke nicht, stellt Tóth lapidar fest. Der Regierungsstil des Fidesz werde früher oder später nicht mehr so attraktiv sein. Er währe auch bereits lange genug, als dass diese Veränderung in naher Zukunft anstehe. Gegenwärtig jedoch bestünden für die Linke nur sehr geringe Chancen und auch nur in wenigen Kommunen. Doch diese lokalen Erfolge könnten um ein Vielfaches deutlicher ausfallen als vor vier Jahren. Das könnte dazu beitragen, dass sich der Boxer auf den Beinen hält – wenn auch nur mit einer abstützenden Hand an den Seilen. Das Problem bestehe darin, so Tóth, dass spätestens Sonntagabend der interne Machtkampf innerhalb der Linken beginnen und dabei der Chef der Demokratischen Koalition, Ferenc Gyurcsány, versuchen werde, sich den Sozialisten aufzudrängen, obgleich seine DK – solange in den Kampf verstrickt – „zahlenmäßig nicht wird wachsen können“.
In einer weiteren in Népszabadság erschienenen Kolumne bezeichnet es Peter Pető als besonders verheerend, dass es der Linken in Budapest mit seiner überaus starken linksliberalen Zielgruppe nicht gelungen sei, einen Herausforderer für den amtierenden konservativen Oberbürgermeister ins Rennen zu schicken. Und an dieser besonderen Tragödie „trägt nicht Ministerpräsident Orbán die Schuld“, schreibt Pető den Linken ins Stammbuch.
In Figyelő macht der Politologe Gábor Filippov darauf aufmerksam, dass die regierenden Mitte-Rechts-Kräfte siegen werden, obwohl sie seit 2010 Hunderttausende von Wählern verloren haben. Deren Vorherrschaft dürfte nur langfristig und seitens der rechtsradikalen Partei Jobbik bedroht werden, nicht aber von der Linken. Diese habe in den zurückliegenden mindestens sechs Jahren noch kein Mittel und keinen Weg gefunden, wie sie ihre eigene Wählerklientel ansprechen könnte. Nach wie vor könne sich die Linke auf über 1.000.000 treue Anhänger stützen, die zum Kampf unter allen Umständen bereit seien, schreibt Filippov. Doch habe sie den Kontakt zu weiteren knapp anderthalb Millionen Ungarn verloren, die die Sozialisten und Liberalen noch bis 2006 hätten mobilisieren können. Offenbar sitze die Linke nach wie vor auf alten, mittlerweile kaum noch attraktiven Parolen.
Mit der Aufforderung an das Publikum, es möge die Demokratie verteidigen, ließen sich einfach keine neuen Wähler rekrutieren. Denn die von der Regierung ergriffenen, vermeintlich undemokratischen Maßnahmen betrachte die Öffentlichkeit als eine nachvollziehbare Strafsteuer auf schamlose, an ehemalige linke Entscheidungsträger gezahlte Abgangsprämien. Maßnahmen gegen Banken und internationale Multis werden als Verteidigung der Normalbürger ebenso gesehen wie Tarifsenkungen bei öffentlichen Versorgungsdienstleistungen.
Es gelinge der Linken nicht, die Menschen davon zu überzeugen, dass Rechtsstaatlichkeit wichtiger sei als handfeste materielle Vorteile. Das scheitere vor allem, weil sie von der Öffentlichkeit nicht als glaubwürdiger Demokratie-Champion betrachtet werde. Die wenigen Erfolge, die die Linke werde einheimsen können, würden den allgemeinen Eindruck kaum verschleiern, dass sie sich nach wie vor auf Glatteis bewege und auseinanderfalle. Der Autor fragt, ob ein politischer Kampf um die unangefochtene Führungsposition innerhalb der Linken vermeidbar sei und ob eine vierjährige Legislaturperiode für das Ausfechten dieses Kampfes ausreichen werde. Falls nicht, und falls der Fidesz weiter an Wählerunterstützung einbüßen sollte, könnten sich desillusionierte Wähler anstatt für die Sozialisten für die rechtsradikale Partei Jobbik entscheiden, schreibt Filippov abschließend.
In ihrem allwöchentlichen Leitartikel fordert Magyar Narancs linksliberale Wähler zum Gang an die Urnen auf, obgleich die Redakteure davon ausgehen, dass die Wahlen manipuliert seien. Begründet wird dieses Urteil damit, dass die öffentlich-rechtlichen Medien – wie auch die meisten Lokalzeitungen des Landes – von der Regierung beherrscht würden. Zudem stünden ihr unvergleichlich größere materiellen Ressourcen zur Verfügung als der Opposition.
Die Leitartikler glauben, dass angesichts der Vorherrschaft konservativer Wahlplakate jemand, „der vom Mond kommt, klar schlussfolgern würde, kein demokratisches Land zu besuchen“. Allerdings räumen die Autoren ein, dass Lajos Bokros, der stärkste Herausforderer des Budapester Oberbürgermeisters István Tarlós, „außer der Tatsache, ungeeignet für den Posten zu sein“, darüber hinaus weder Massen noch eine Partei mit der erforderlichen Zahl an Experten, Freiwilligen und ihren eigenen Medien hinter sich habe. Laut Magyar Narancs werden die Wahlen in zahlreichen Kommunen im Zeichen einer allgemeinen Apathie oder des Gespötts stehen. Die Leitartikler glauben, dies sei genau nach dem Geschmack des Fidesz.
Für den Chefredakteur von Demokrata, András Bencsik, geht es bei diesen Wahlen um die Frage, ob der Fidesz ein Mandat erhält, um die Reformen unumkehrbar zu machen. Seiner Ansicht nach hat die Linke in den zurückliegenden 25 Jahren all ihre intellektuellen und moralischen Reserven aufgebraucht. Kommunisten alten Typs, die sich zumindest mit der Routine der Macht ausgekannt hätten, seien nunmehr in Rente. Die neue Generation sozialistischer Entscheidungsträger sei lediglich von dem Drang nach Führungspositionen beseelt, die sich zu Geld machen ließen. Es existiere mit anderen Worten keine wirkliche linke Linke. Bencsik bezweifelt, dass Ferenc Gyurcsány etwas erneuern könne, das nicht mehr existiere. Wie dem auch sei: Er würde viel Zeit dafür benötigen, während unterdessen neue Generationen in Erscheinung treten könnten, die ihn als kaum weniger unzumutbar wie die alten Zombies der Vergangenheit ablehnen dürften.
Im politischen Wochenmagazin Heti Válasz malt András Zsuppán für etliche ungarische Städte und Gemeinden ein Bild extrem uninteressanter Wahlen. Es ergebe keinen Sinn in solchen Ortschaften Wahlkampf zu führen, wo auf dem Stimmzettel lediglich ein Name zu finden sei. In zahlreichen Dörfern stelle die Demokratie eine reine Formalität dar, doch erstmals gelte das auch für vier Städte sowie für drei weitere Ortschaften, bei denen es sich praktisch um Vororte der Hauptstadt und bei deren Bewohnern um wohlhabende Leute handele, die sich offenbar nicht für Angelegenheiten von lokaler Bedeutung interessierten. Zsuppán hält dies für einen Beleg dafür, dass Apathie nicht notwendigerweise das Resultat von Not und Hoffnungslosigkeit sei.
In seiner allwöchentlichen Kolumne äußert der Chefredakteur von Heti Válasz, Gábor Borókai, die Vermutung, dass die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber öffentlichen Angelegenheiten auf die bei den wichtigsten Parteien vorhandene Angewohnheit zurückzuführen sei, sich gegenseitig zu beschuldigen und sich gegenüber ihrer eigenen Verantwortung zu verweigern. Die regierenden Kräfte hätten Grund zum Stolz auf ihr Krisenmanagement, sollten aber der Öffentlichkeit mitteilen, welche negativen Züge ihrer Herrschaft ausgemerzt werden müssten, denn wenn sie ihre eigenen Fehler nicht korrigierten, könnten sie sehr leicht ihre eigene Anhängerschaft dezimieren. Mit Blick auf die linke Opposition glaubt Borókai, sie müsse sich fundamental wandeln, um wieder ernst genommen zu werden. Sie dürfe weder ausländischen Interessen dienen, noch das Land erneut in die Verschuldung stürzen oder Führungsfunktionen in die Hände der Wirtschaft legen.
Borókai bezieht auch zur kürzlich in Amerika und Norwegen geäußerten Kritik an ungarischen Spitzenpolitikern wegen deren negativen Haltung zum Liberalismus Stellung. In wohlhabenden Ländern falle es leichter, sich glaubwürdig für die Werte der liberalen Demokratie einzusetzen, als in Ländern in Randlage, in denen massenweise arme Menschen lebten und das während der Übergangsperiode gegebene Wohlstandsversprechen bislang nicht eingelöst worden sei. Gleichzeitig warnt Borókai auch die linke Opposition davor, den Westen in der Auseinandersetzung mit der Regierung um Hilfe zu bitten. Denn in diesem Fall bestünde die Gefahr, dass sie als Leute betrachtet würden, die dank ausländischen Drucks statt aufgrund des Willens der ungarischen Wähler an die Regierung kommen wollten.
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