Diplomatische Fehde zwischen Ungarn und den USA eskaliert
17. Nov. 2014Ein konservativer Kolumnist wirft den USA vor, zum Schutz amerikanischer Wirtschaftsinteressen Druck auf Ungarn auszuüben. Zuvor hatte die Regierung in Budapest ein Aide-Mémoire über ein Dokument der amerikanischen Botschaft zu Korruptionsfällen präsentiert. Linksorientierte Kommentatoren hingegen bezichtigen die Regierung, sie verschließe ihre Augen vor der institutionalisierten Korruption im Lande.
Am Donnerstag veröffentlichte das ungarische Außenministerium ein von der US-Botschaft am 6. November übermitteltes Schreiben mit Informationen über die Hintergründe von Einreiseverboten für mehrere ungarische Staatsbürger (vgl. BudaPost vom 20. Oktober). In dem Dokument wird beschrieben, inwiefern die US-Botschaft im Laufe des zurückliegenden Jahres Korruptionsvorwürfe mit offiziellen Vertretern Ungarn erörtert hatte. Allerdings hätten „die Bitten der Botschaft um angemessene Gegenmaßnahmen keinerlei offizielle Reaktionen gezeitigt“. Zu den angesprochenen Fällen gehören die Konzessionsvergabe für Tabakwarengeschäfte sowie massive Betrügereien im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer (vgl. BudaPost vom 3. Dezember 2013).
Nach Angaben des ungarischen Außenministeriums enthält das Dokument keine stichhaltigen Informationen über spezifische Fälle oder Namen von angeblich korrupten Personen, auf deren Basis Untersuchungen hätten eingeleitet werden können. In seinem 14-täglichen Interview im Frühprogramm von Kossuth Rádió sagte Ministerpräsident Orbán, bei dem Dokument handele es sich um einen „Fetzen“ ohne offiziellen Stempel. „Wenn ein ungarischer Diplomat einer ausländischen Regierung ein derartiges Stück Papier vorlegen würde, würde ich gezwungen sein, ihn sofort zu entlassen“, echauffierte sich Orbán. Die Entlassung der Präsidentin der Steuerbehörde auf der Grundlage nicht fundierter Anschuldigungen würde einen Präzedenzfall schaffen, fügte der Ministerpräsident hinzu. „Ich wage es nicht, den USA die Diffamierung von Bürgern verbündeter Staaten vorzuwerfen, einzig um deren Wirtschaftsinteressen zu verteidigen“, sagte Orbán. Zudem bekräftigte er, dass die ungarische Regierung Korruption nicht toleriere.
In einem noch am gleichen Tag an André Goodfriend, dem Chargé d’affaires der USA, übermittelten Brief bat Generalstaatsanwalt Péter Polt um Informationen zu den angeblichen Korruptionsfällen.
Die regierungsfreundliche NGO Bürgereinheitsforum (CÖF) teilte unterdessen mit, sie habe Anzeige gegen Unbekannt wegen Korruptionsvertuschung erstattet. CÖF teilte in diesem Zusammenhang mit, dass es laut ungarischem Gesetz nicht gestattet sei, Informationen über Fälle von Korruption zurückzuhalten. In einer Reaktion auf diese Nachricht twitterte André Goodfriend, dass „sich die Wiener Konvention (über diplomatische Immunität) stets gut liest“.
In ihrem Leitartikel auf der Titelseite weist Népszabadság die Äußerung von Ministerpräsident Orbán zurück, wonach das Dokument nicht ernstzunehmen sei. Da die US-Botschaft die ungarische Regierung im vergangenen Jahr über die Korruptionsvorwürfe in Kenntnis gesetzt habe, könne die Washingtoner Kritik kaum als Vergeltung für die jüngste „Öffnung Ungarns gen Osten“ angesehen werden, heißt es bei der führenden linksorientierten Tageszeitung. Népszabadság wirft der Regierung „institutionalisierte Korruption“ zum Nachteil ausländischer Unternehmen vor, was – nach Ansicht des Blattes – die Staatseinnahmen senken und damit weitere Steuererhöhungen notwendig machen würde.
In Heti Világgazdaság äußert sich László Seres einigermaßen befremdet darüber, dass die ungarische Regierung die Korruptionsvorwürfe der USA aufgrund von Formalitäten ignoriere. Der libertäre Kommentator glaubt, dass in Ungarn, ähnlich wie in Staaten der Dritten Welt, öffentliche Bedienstete ein aktiver Bestandteil institutionalisierter Korruption seien.
Die Regierung scheine das Dokument missverstanden zu haben, schreibt Zsófia Mihancsik auf Galamus. Die linksorientierte Kommentatorin macht darauf aufmerksam, dass man von der US-Botschaft nicht erwarten könne, Korruptionsfälle in Ungarn zu untersuchen. Die wichtigste Frage laute, ob es der Regierung gelingen werde, die Bedeutung der Vorwürfe herunterzuspielen – Vorwürfe, die, so fügt Mihancsik resigniert hinzu, in den ungarischen Medien bereits seit Jahren „ohne irgendwelche Konsequenzen“ problematisiert würden.
Gyula Máté T. sieht in Magyar Hírlap die Souveränität Ungarns auf dem Spiel stehen. Der regierungsfreundliche Kolumnist vermutet, dass die USA zur Verteidigung amerikanischer Wirtschaftsinteressen Ungarn unterwerfen wollen. So bezichtigten die USA Ungarn wegen der Entscheidung der Orbán-Regierung zum Bau der South Stream-Pipeline und der Einbeziehung Russlands in das Kernkraftwerksprojekt Paks der Korruption. Außerhalb ihres eigenen Territoriums hielten sich die USA nicht an Recht und Gesetz, wenn ihre strategischen Interessen auf dem Spiel stünden, glaubt Máté: „Außerhalb der USA existieren ein Wilder Westen und ein Wilder Osten, wo brutale Gewalt herrscht.“
Tags: Korruption, Ungarn, US-Einreiseverbot, Vereinigte Staaten von Amerika