Wochenmagazine zu den Simicska-Vorwürfen
16. Mar. 2015Blätter des linken Spektrums unterstreichen, wie schädlich die gegen den Ministerpräsidenten gerichteten Vorwürfe sind, die dessen einstiger enger Wegbegleiter vorgebracht hat. Liberale Stimmen vertreten die Ansicht, dass die Verunsicherung mit Blick auf frühere reale oder vermeintliche Spitzel bereits vor länger Zeit durch die Veröffentlichung sämtlicher Akten kommunistischer Geheimdienste hätte ausgeräumt werden sollen. Rechtsorientierte Kommentatoren wiederum bezeichnen die Vorwürfe Simicskas als reine Verleumdung.
Ákos Mester, Chefredakteur von 168 Óra, widerspricht denjenigen, die davon ausgehen, dass die jüngsten Bezichtigungen Vorboten des Orbánschen Niedergangs sind. Mester weist die Vorwürfe nicht zurück und fordert eine Offenlegung der Wahrheit. Mit Bezug auf Simicska fragt sich der Journalist, ob der einstige Freund des Ministerpräsidenten deswegen angedeutet habe, Orbán sei ein Informant kommunistischer Geheimdienste gewesen, weil er wütend geworden sei oder weil er seinem einstigen Freund habe Angst einjagen wollen, er sich zu einem Gegner gemausert habe bzw. beweisen wolle, dass er in ihrer Auseinandersetzung vor nichts zurückschrecken werde.
In Figyelő bezeichnet Zoltán F. Baka das Vorgehen Simicskas als virtuos, weil diese Art von Vorwurf an der beschuldigten Person hängen bleiben und jedes Dementi den Ministerpräsidenten zwangsläufig weiter beschädigen würde. Die einzige Lösung sei Stillschweigen – oder die Vorwürfe sollten als nicht relevant ignoriert werden. Die Regierung hege die Hoffnung, dass, wenn sie nicht massiv reagiere, die Öffentlichkeit lediglich einen Fechtkampf mit nur einem Beteiligten – Simicska – wahrnehmen werde. Dieser fuchtele mit seinem Degen in der Luft herum, ohne dass jemand vor ihm stehe. Der einstige Fidesz-Schatzmeister wolle Orbán moralisch zerstören. Doch um dieses Ziel zu erreichen, müsste er handfestere Beweise vorlegen, schlussfolgert Baka.
Die Autorinnen Nóra Diószegi-Horváth und Viktória Krausz erklären in Vasárnapi Újság, dass die von Simicska ans Tageslicht geförderte Geschichte – falls wahr – eine unter Wehrpflichtigen zu kommunistischen Zeiten ziemlich verbreitete Praxis schildere. Laut Simicska habe ihm der damals 18-jährige Orbán offenbart, dass er seinen Vorgesetzten Bericht über ihn zu erstatten habe. Daraufhin hätten sich beide über das, was er berichten sollte, verständigt. Geheimdienstleute verfügten über zahlreiche ähnliche Kontakte zu Wehrdienstleistenden, doch bedeute eine derartige Verbindung nicht, dass die entsprechenden Wehrpflichtigen angeworben waren oder dass sie hätten Berichte über ihre Kameraden schreiben müssen. Viele hätten sich auf eine derartige Zusammenarbeit eingelassen, um öfter in Urlaub fahren zu können. Die Autorinnen zitieren einen Kenner der Orbán-Akte. Dessen Angaben zufolge sei dem künftigen Ministerpräsident während seines Wehrdienstes im Jahre 1982 Urlaub monatelang verweigert worden.
Im Wochenleitartikel stellt Magyar Narancs fest, dass die Geschichte Simicskas in einem Punkt vollkommen unglaubwürdig sei: So habe der ehemalige Parteikassenwart erklärt, dass ihm einmal ein Major während seines Militärdienstes einen Packen ihn betreffende Spitzelberichte gezeigt habe. Die schiere Existenz derartiger Akten sei zu jener Zeit ein Staatsgeheimnis gewesen, notiert Magyar Narancs. Im übrigen geht der Leitartikler davon aus, dass der ehemalige Schatzmeister den Orbán-Kult zerstören wolle. Und da politische Leidenschaften meistens auf irrationalen Gefühlen basierten, sollten die Auswirkungen der Vorwürfe nicht unterschätzt werden. Falls Orbán eines Tages gestürzt werden sollte, gebühre Simicska ein stillschweigendes Dankeschön. Ansonsten glaubt Magyar Narancs, dass derartige Unterstellungen langlebig sein können, denn die „Agentengeschichte“ sei in „undurchdringlichen Nebel“ gehüllt.
In Heti Világgazdaság wirft István Riba dem Ministerpräsidenten vor, er sei selbst Schuld an seinem Status als Verdächtiger, denn seine Regierungen hätten „die Bemühungen zur Offenlegung der Stasi-Akten sabotiert“. Für den Autoren liegt die Lösung nunmehr in einer Übertragung sämtlicher Dokumente der Zeit vor 1990 in öffentliche Archive. Forscher müssten Zugang zu ihnen haben und die fachmännische Bearbeitung jener Akten müsse finanziert werden, fordert Riba. (Grundsätzlich befinden sich solche Akten in der Obhut eines Spezialarchivs und dürfen von Forschern und den betreffenden Bürgern eingesehen werden – Anm. d. Red.)
Péter Bándy merkt an, dass Orbáns Stasi-Akten zugänglich und im Laufe der vergangenen zehn Jahre auch umfassend bekanntgemacht worden seien. Mit anderen Worten, so Bándy in Magyar Demokrata, würden diejenigen, die die Veröffentlichung von kommunistischen Geheimdienstakten forderten, offene Türen einrennen.
Im gleichen Wochenmagazin vergleicht András Bencsik Simicska mit Leutnant Hegedűs, dem Antihelden in „Sterne von Eger“, einem beliebten Roman von Géza Gárdonyi. (Hegedűs hatte Mitte des 16. Jahrhunderts versucht, den türkischen Feind in die belagerte Festung Eger zu führen – Anm. d. Red.) Verleumdung sei wie Dreck, schreibt der Chefredakteur von Magyar Demokrata, er bleibe an dir haften, doch sei er die Waffe der Niederträchtigen gegen die Stärkeren und Begabteren. „Es herrschen schwere Zeiten, es gibt eine Menge Verräter und viele sind wankelmütig geworden“, klagt Bencsik, äußert sich aber auch zuversichtlich, dass „die Getreuen zusammenhalten werden“.
Gábor Borókai, Chefredakteur von Heti Válasz, erinnert daran, dass Orbáns Kritiker ihn 1989 für dessen ausgeprägte Kühnheit kritisiert hätten, den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn zu fordern. Der Autor empfindet es als geschmacklos, dass der Vorwurf, ein Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes gewesen zu sein, von einem ehemaligen Waffenkameraden erhoben werde. Beide seien offenbar zu Gegnern geworden, doch jemanden bar irgendwelcher neuen Tatsachen oder Beweise zu bezichtigen, sei ein Hinweis darauf, dass da jemand Politik auf der Grundlage verletzter Gefühle betreibe. Weisheit, Anstand und Mäßigung seien Tugenden, die sich sowohl Anhänger als auch Gegner der aktuellen Regierung zu Herzen nehmen sollten, empfiehlt Borókai.