Orbán in Kasachstan
3. Apr. 2015Linke Kommentatoren tadeln die Äußerungen des Ministerpräsidenten über historische Beziehungen zwischen Kasachen und Ungarn, die einen Kontrast zum Platz Ungarns innerhalb der Europäischen Union bildeten, wo wir – mit den Worten Orbáns – „politisch gleich, genealogisch jedoch unterschiedlich sind“.
Im Rahmen seiner Visite in Astana an der Spitze einer aus Politikern und Geschäftsleuten bestehenden 100-köpfigen Delegation verkündete Ministerpräsident Orbán, Ungarn werde der (chinesisch geführten) Asian Infrastructure Investment Bank beitreten, womit Ungarn dem Beispiel Deutschlands und Frankreichs folgt. Orbán lobte seine Gastgeber für das rasante Wachstum ihres Landes und erwähnte zudem, dass es etwa im Zeitraum 500 v. Chr. (möglicherweise) zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Vorfahren beider Völker gekommen sei. Nach Angaben von Kazinform, der offiziellen kasachischen Nachrichtenagentur, sagte der ungarische Gast wörtlich: „Wir freuen uns immer über einen Besuch in Kasachstan. Innerhalb der Europäischen Union sind wir in politischer Hinsicht gleich, genealogisch jedoch unterschiedlich. Wenn wir nach Brüssel reisen, treffen wir dort auf keine Verwandten. Wenn wir aber nach Kasachstan kommen, treffen wir hier auf ein uns nahestehendes Volk. Das ist ein eigenartiges Gefühl für uns, aber es ist wahr. Aus diesem Grunde kommen ungarische Delegationen stets mit Freude nach Kasachstan.“ Kritiker zitieren Orbáns Äußerungen auf der Grundlage einer russischsprachigen Übersetzung. Demnach hätte er gesagt: „Es ist ein eigenartiges Empfinden, aber wir müssen in den Osten kommen, um uns heimisch zu fühlen.“ In dieser Version wird „genealogisch unterschiedlich“ mit „Fremde bezüglich unserer Herkunft“ übersetzt.
Népszava-Chefredakteur Péter Németh weist die Vorstellung zurück, dass wir, um uns heimisch zu fühlen, in den Osten reisen müssten und dass wir Fremde in Europa seien. Der Journalist hätte keine Einwände, falls sich Orbán für den Osten als seine Heimat entscheiden sollte. „Wir jedoch würden lieber in Europa bleiben”, stellt Németh klar.
Im Leitartikel auf der Titelseite von Népszabadság werden die Worte des Ministerpräsidenten als ein Hinweis auf dessen Isolation innerhalb Europas gedeutet. Die wichtigste Tageszeitung des linken Spektrums fordert Orbán auf, nicht im Namen aller Ungarn zu sprechen, da „wir genauso Ungarn sind wie er samt seiner ganzen Begleitung, uns aber tatsächlich absolut heimisch in Europa fühlen“.