Árpád Göncz ohne schrille Töne beerdigt
9. Nov. 2015Am Freitag wurde der erste postkommunistische Staatspräsident Ungarns im Rahmen einer privaten Trauerfeier – aber unter lebhafter Anteilnahme der Bevölkerung – beigesetzt. Vor diesem Hintergrund streiten sich die Kommentatoren, wie ein solcher ungewöhnlicher Vorgang zu interpretieren sei. Grundsätzlich einig ist man sich jedoch in der Einschätzung, dass die Beerdigung des ehemaligen Präsidenten, obgleich ein Held der Linken, doch eine mildernde Botschaft ausgesendet habe.
Für András Hont spiegelte die Beerdigung „das Scheitern unserer vergangenen 25 Jahre wider“. Auf HVG online schreibt der Autor, nichts wäre normaler gewesen, als den ersten Präsidenten des demokratischen Ungarns im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes zu bestatten. Doch da das politische System nicht mehr mit demjenigen übereinstimme, über das Göncz während seiner zehnjährigen Amtszeit von 1990 bis 2000 präsidiert habe, sei die Option einer privaten Zeremonie völlig gerechtfertigt gewesen, meint Hont.
Ungeachtet des von Árpád Göncz gewünschten privaten Charakters der Trauerfeier hatten zahlreiche führende Vertreter des Staates und der Gesellschaft in der Nähe der Grabstätte Platz genommen, darunter Staatspräsident János Áder. Ministerpräsident Viktor Orbán kam als Privatmann. Noch im späteren Verlauf des Tages lobte der Regierungschef Göncz für dessen Leistungen zum Wohle Ungarns.
János Csontos geht in seinem Artikel für Magyar Idők davon aus, es sei der Wunsch der Familie gewesen, dass der Ministerpräsident privat an der Trauerfeier teilnimmt, um ihr keinen politischen Charakter zu verleihen. Tatsächlich habe sich Árpád Göncz stets als Privatbürger verstanden und entsprechend als solcher auch beigesetzt werden wollen. Csontos glaubt, dass er diese Rolle sogar etwas übertrieben gespielt habe. Doch sei es richtig gewesen, diesen Zug seines Wesens am Tage seiner Beisetzung zu respektieren. Der regierungsfreundliche Kommentator hält es auch für richtig, den Haupttrauerredner und langjährigen privaten und politischen Freund, Imre Mécs, zu bitten, sich politischer Äußerungen in seiner Ansprache zu enthalten. Diesen Wunsch habe er beherzigt und erst im Anschluss vor einer kleinen Zuhörerschaft vor dem Parlamentsgebäude eine seiner urtypischen politischen Hetztiraden gegen die Regierung losgelassen. Damit, so Csontos, habe Mécs letzten Endes dafür gesorgt, „dass dieses erhabene Ereignis auf das Niveau der Alltagspolitik heruntergezogen wurde“.
Auf seiner Internetseite sagt Péter Bénedek, Gründer einer kleinen konservativen Partei, jemandem Lebewohl, den er als „den letzten Helden der Linken“ bezeichnet. Selbst nach seinem Tod habe Árpád Göncz mehr Menschen mobilisieren können, als irgendeiner der unter den Lebenden weilenden Linkspolitiker. Er sei einer der wenigen gewesen, die im Verlauf der qualvollen Geschichte Ungarns des 20. Jahrhunderts stets auf der richtigen Seite gestanden und gegen die einander ablösenden diktatorischen Regimes – egal ob rechts- oder linksgerichtet – Stellung bezogen hätten. Als Präsident der Republik habe Göncz weit über den liberalen und rechtsorientierten Politikern gestanden, die sich 1990 auf seine Wahl verständigt hätten, unterstreicht Bénedek.
Népszabadság widmet ihre gesamte Titelseite dem Begräbnis. Der Leitartikel wurde unter einem großen Bild vom Sarg platziert. In ihm werden die weitgehend regierungskritischen Trauergäste dafür gelobt, dass sie die Gelegenheit nicht zu Bekundungen ihrer entsprechenden Gefühle missbraucht haben. Viele von Ihnen, mutmaßen die Leitartikler, müssen der gesamten parlamentarischen Elite kritisch gesonnen gewesen sein und den privaten Charakter des Begräbnisses als Ausdruck für die Ablehnung des gegenwärtigen politischen Systems interpretiert haben. Sicher hätten viele von ihnen gerne ihrer Wut auf die Machthabenden Ausdruck verliehen. Doch sei es ihnen gelungen, die erloschene Botschaft der Sanftmut wiederzubeleben und ihre Wut für sich zu behalten. „Denn seine Beerdigung steht eher für das, was uns verbindet, als für das, was uns trennt“, notiert Népszabadság abschließend.
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