Liberale Stimmen kritisieren „Terrornotstandsgesetz“
25. Jan. 2016Ein früherer Parlamentarier der Sozialistischen Partei gibt eine selbst erklärte „Verschwörungstheorie“ zum Besten, in der es um das vom Fidesz geplante Terrornotstandsgesetz geht. Zwei liberale Kommentatoren bezeichnen derartige Verordnungen als Brutstätten einer Diktatur.
In Vasárnapi Hírek erläutert Zoltán J. Gál das, was der ehemalige sozialistische Parlamentsabgeordnete selbst als seine eigene Verschwörungstheorie bezeichnet. Dabei geht es dem einstigen Sprecher der Regierung von Péter Medgyessy (2002 bis 2004) um die Frage, weswegen der Fidesz auf einer Verfassungsänderung beharre, die der Regierung zusätzliche Befugnisse zur Verhängung eines „Terrornotstandes“ einräumen würde.
(Vergangene Woche hatte der Jobbik-Abgeordnete Előd Novák den vollen Wortlaut der Gesetzesvorlage offengelegt, der bis zu diesem Zeitpunkt aus unbekannten Gründen vom ungarischen Verteidigungsministerium als dem Verfasser zur Geheimsache erklärt worden war. Falls das Gesetz verabschiedet werden sollte, würde es der Regierung im Falle einer „Bedrohung“ gestatten, für eine Frist von 60 Tagen den Terrornotstand auszurufen. Innerhalb dieser zwei Monate könnte das Kabinett per Dekret regieren. Zudem hätte es unter anderem das Recht, Ausgangssperren zu verhängen, größere Menschenansammlungen zu verbieten, die Berichterstattung von Medien einzuschränken und zu beeinflussen sowie die Armee einzusetzen, falls die Polizei die Lage nicht in den Griff zu bekommen scheine. Wie sich im Laufe der Vorwoche herausstellte, spricht sich die rechtsradikale Partei Jobbik gegen die Gesetzesinitiative in ihrer jetzigen Form aus. Da zur Verabschiedung eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit notwendig ist, dürfte der Fidesz Gespräche mit Jobbik über denkbare Modifikationen des Entwurfs aufnehmen. So schlägt Jobbik unter anderem vor, dass der Notstand mit einer Supermehrheit von vier Fünfteln der Parlamentarier und somit nicht von der Regierung erklärt werden sollte – Anm. d. Red.)
Der Kolumnist von Vasárnapi Hírek erinnert im Folgenden daran, dass der für das Amt des Regierungschefs zuständige Minister János Lázár ausdrücklich Geschehnisse im Bereich des Budapester Ostbahnhofes sowie am Grenzübergang Röszke vom vergangenen Sommer als solche Gründe benannt hatte, die die Verhängung des Terrornotstandes gemäß der neuen Gesetzgebung gestatten würden. Eine derartige Verfassungsänderung stelle eine extreme Gefahr für die Demokratie dar, erklärt Gál und äußert die Befürchtung, dass Angstmacherei sowie das Gesetz selbst lediglich dazu dienen würden, die passende Atmosphäre sowie den Vorwand für eine Vorverlegung der 2018 anstehenden Parlamentswahlen zu kreieren. Eine vorgezogene Neuwahl könnte das Entstehen einer lebendigen Opposition zur aktuellen Regierung verhindern. Das wäre angesichts rückläufiger EU-Fördergelder sowie der Tatsache möglich, dass immer mehr Menschen „ein stetes ungarisches Abgleiten in die europäische Peripherie“ bemerken würden.
Nichts sei durch die Strategie der linken Oppositionsparteien gewonnen, Parlamentsdebatten über Zwei-Drittel-Gesetze wie die Verfassungsänderung oder die Berufung neuer Verfassungsrichter zu boykottieren, schreibt György Pápay in Magyar Nemzet. Angesichts dessen werde der Fidesz lediglich in die Lage versetzt, die Opposition so darzustellen, als wäre sie nicht zur Verteidigung des Landes gegen den Terrorismus bereit. Mehr noch: Durch die nicht besetzten Richterstühle am Verfassungsgericht – einem der Regierung durchaus gelegenen Status quo – sabotierten Együtt (Gemeinsam) sowie die Demokratische Koalition praktisch die Bemühungen, die Regierung unter eine schärfere Kontrolle zu bringen, notiert Pápay.
In der Druckausgabe des Wochenmagazins HVG äußern sich die Verfassungsrechtler László Majtényi, der zu Zeiten linker Regierungen verschiedene hohe öffentliche Funktionen bekleidet hatte, sowie Bernadette Somody, Direktorin des Eötvös Károly Instituts. In ihrem Artikel behaupten die Verfasser, dass es sich bei derartigen Notstandsgesetzen um Brutstätten von Diktaturen handele. Es wäre gefährlich, wenn die Regierung nach eigenem Gusto den Notstand erklären könne. Angesichts außerordentlicher Ereignisse sehe die ungarische Verfassung ja bereits einen „klassischen“ Notstand vor, argumentieren die beiden Juristen.
Die Gesetzesnovelle hingegen ziele auf nicht näher definierte terroristische Bedrohungen ab. Demnach wäre die Öffentlichkeit nicht einmal rückblickend in der Lage zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für einen Notstand überhaupt je gegeben waren.
Dessen Ausrufung würde darüber hinaus keiner parlamentarischen Zweidrittelmehrheit bedürfen, was faktisch bedeute, dass die Regierung eigenständig über eine Verhängung des Notstands entscheiden könne. Abschließend erinnern Majtényi und Somody ihre Leser daran, dass im vergangenen Sommer bereits eine neue Art des Notstandes in Gesetzesform gegossen worden sei. (Allerdings musste in diesem Falle die Verfassung nicht geändert werden, weil der Exekutive keine umfassenden neuen Befugnisse zugestanden wurden – Anm. d. Red.) Dieser „Krisenzustand aufgrund einer Massenmigration“ sei in verschiedenen Komitaten des Landes ordnungsgemäß erklärt worden, betonen die Autoren, warnen jedoch gleichzeitig: Es sei beunruhigend, dass dieser Krisenzustand in sechs Komitaten auch nach mehreren Monaten nach wie vor in Kraft sei, obgleich sich keine Migranten mehr im Lande aufhalten würden.
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