Breite Ablehnung einer verpflichtenden Flüchtlingsquote
30. May. 2016Die Kampagne der ungarischen Regierung gegen verpflichtende EU-weite Flüchtlingsaufnahmequoten läuft bereits Monate vor einem entsprechenden nationalen Referendum auf Hochtouren. Angesichts dessen diskutieren Kommentatoren von links und rechts des politischen Spektrums über die Argumente der am Streit zwischen Brüssel und Budapest beteiligten Parteien.
In Magyar Idők verweist Ádám Samu Balázs auf die Ergebnisse einer jüngsten Umfrage, der zufolge 77 Prozent der Ungarn die Idee von verpflichtenden Flüchtlingsquoten ablehnen. Der entsprechende europaweite Wert liege bei knapp 66 Prozent. Diese deutlichen Zahlen sollten nach Ansicht des Kommentators die Union zum Überdenken ihrer Politik veranlassen und sie davon abhalten, in so wichtigen Angelegenheiten Entscheidungen ohne Rücksprache mit der Bevölkerung zu treffen. Stattdessen plane die Europäische Kommission eine „Strafgebühr“ in Höhe von 250.000 Euro pro nicht aufgenommenem Flüchtling. Dies habe in vielen beim Thema Umverteilung bisher schweigsamen Ländern ernste Besorgnisse ausgelöst, darunter in den drei Baltischen Staaten sowie in Bulgarien. Sollte die bisherige Strategie unverändert durchgezogen werden, so wird nach Einschätzung von Balázs die EU die Attraktivität rechtsradikaler Parteien fördern und zu einer Welle der Euroskepsis auf dem gesamten Kontinent beitragen.
Zwar werde sich das geplante Referendum mit dem von der Europäischen Kommission Anfang Mai veröffentlichten Quotenvorschlag befassen, doch würde an diesen Plänen nach wie vor gefeilt. Laut Magyar Narancs-Autor Szilárd Teszár dürfte Migranten demnach künftig der Zugang nach Europa erschwert werden. Alles laufe auf einen Beschluss hinaus, die Idee „verpflichtender Quoten“ aufzugeben. Die Kommission wolle mittels der neugeschaffenen Institution „Solidaritätsbeiträge“ die Aufnahmebereitschaft von Migranten stimulieren. Die entsprechende Summe lasse sich durch eine Umsiedlung eines Migranten in ein bestimmtes Land verringern, notiert Teszár in der Druckausgabe des Wochenmagazins. Damit würden rechtliche Schritte gegen das Bußgeldsystem schwieriger. Der Verfasser geht davon aus, dass die Europäische Union mit der Einführung eines Systems der regulären und rechtmäßigen Umverteilung von Flüchtlingen aus der Türkei nach Europa dem Menschenhandel entgegenwirken und zudem ihre einseitige Abhängigkeit von der Türkei beenden werde. Derartige Bemühungen um eine neue gemeinsame Immigrationspolitik dürften – so die Befürchtung Teszárs – bei Regierungen auf eine breite Ablehnung stoßen, die das Thema versiert zur Steigerung ihrer heimischen Popularität ausschlachten würden.
Mariann Őry von der Tageszeitung Magyar Hírlap bedauert die „Inbesitznahme unserer Begriffe“ durch liberale Eliten: Mit Solidarität und Offenheit meinten sie ungehinderte und unkontrollierte Einwanderung; mit Vielfalt meinten sie die kleinstmögliche Zahl europäischer Kinder in den Schulen. Und – von allem „am unerträglichsten“ – mit Europa meinten sie die Europäische Union. Jeder, der ihre gegenwärtige Vorgehensweise kritisiere oder Zweifel an der demokratischen Verfassung ihrer Institutionen äußere, werde als europafeindlich gebrandmarkt, beklagt die Autorin, für die die Schweiz demokratischer als Molenbeek ist. (Aus diesem Brüsseler Stadtbezirk stammten die Terroristen, die im vergangenen Jahr Ziele in Paris und in diesem Jahr in der belgischen Hauptstadt angegriffen hatten – Anm. d. Red.) Őry pflichtet dem österreichischen FPÖ-Politiker Harald Vilimsky bei, der geäußert hatte, dass die Vielfalt der Bürger Europas vor einer Verschmelzung zu Vereinigten Staaten von Europa geschützt werden sollte.
In seiner wöchentlichen Kolumne für das Wochenmagazin Demokrata befasst sich auch Péter Farkas Zárug mit dem Thema Einwanderung. Dabei erkennt er Ähnlichkeiten zwischen der Position der Freiheitlichen Partei Österreichs – deren Kandidat vergangenen Sonntag in der Stichwahl um das Präsidentenamt nur hauchdünn seinem praktisch von allen übrigen Parteien unterstützten grünen Mitbewerber unterlegen war – und den von Ministerpräsident Viktor Orbán vertretenen Ansichten. Beide gingen de facto davon aus, dass sowohl die Ungarn als auch die Österreicher ein Recht hätten zu bestimmen, mit wem sie zusammenleben wollten. Genau das würden die meisten Österreicher mit europäischer Identität verbinden. Die Frage der Immigration habe eine Ära lauwarmer Innenpolitik in Österreich beendet, wobei sich zwei Seiten einen leidenschaftlichen Kampf liefern würden. Während der Kandidat der Freiheitlichen in ländlichen Regionen gesiegt habe, sei der grüne Kandidat in Städten erfolgreich gewesen, wo Einwanderer der ersten und zweiten Generation 40 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Daraus schlussfolgert Zárug, dass die Linken aus wahltaktischen Erwägungen höchst interessiert an einer verstärkten Zuwanderung seien.
Abschließend eine Prise Sarkasmus. Auf 444 beschreibt Márton Bede seine Reise ins italienische Bologna, wo er an allen Ecken und Enden „Migranten aus der Dritten Welt“ angetroffen habe. Er sei „als echter Europäer“ total entsetzt gewesen. In einer ironischen Schlussbemerkung fordert er Ungarn zum Bau einer Mauer an seiner Westgrenze auf – „eines kulturellen Vorhangs, hinter dem wir als Europäer in Sicherheit leben können“.
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