Gyurcsány verurteilt „MSZP-Kriegserklärung“
27. Mar. 2017Die Vorsitzenden der beiden wichtigsten Linksparteien haben sich dieser Tage einen verbalen Schlagabtausch geliefert. Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich Beobachter sämtlicher politischer Spektren mit den Chancen des linken Lagers bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr.
In einem am Freitag geführten Interview mit dem der Opposition nahestehenden Klub Rádió hat der ehemalige ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány der MSZP-Führung vorgeworfen, sie versuche ihn „politisch zu ermorden“ und seine Partei, die Demokratische Koalition, „zu kapern“. Als eine „Kriegserklärung“ bezeichnete Gyurcsány den Wunsch des sozialistischen Parteichefs Gyula Molnár, der DK so viele ihrer 150- bis 200.000 Wähler wie nur möglich abspenstig zu machen. Darüber hinaus monierte der Ex-Regierungschef, dass der sozialistische Spitzenkandidaten László Botka den Regierenden gegenüber nicht kritisch genug auftreten würde.
In Heti Világgazdaság bezeichnet György Marosán den Schlagabtausch der linken Spitzenpolitiker als einen „Wettkampf zwischen Alphamännchen“. Den linksorientierten Kolumnisten stimmt es traurig, dass die „linken Clans“ in einen Kampf um die Führungsmacht verstrickt seien. Dabei könne die Linke den Fidesz nur dann bezwingen, wenn sich die „demokratische Opposition“ gegen den „antidemokratischen Autoritarismus“ von Ministerpräsident Orbán zusammenschließe. Marosán sagt voraus, dass der MSZP-Spitzenkandidat nicht in der Lage sein werde, ohne Zusammenarbeit mit Ferenc Gyurcsány eine schlagkräftige Alternative zur gegenwärtigen Regierung in Stellung zu bringen (vgl. BudaPost vom 23. Februar).
In einem Interview mit dem Wochenjournal 168 Óra vertritt der politische Analyst Dániel Róna die Auffassung, dass die Linke bei den Parlamentswahlen 2018 keine realistische Siegeschance habe, dem Fidesz aber doch so viele Sitze streitig machen könnte, dass ihm eine Regierungsbildung aus eigener Kraft unmöglich gemacht würde. Anhand seiner eigenen Analysen konstatiert Róna, dass, sollte die aktuellen Zahlen unverändert bleiben, der Fidesz wieder eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit gewinnen könnte. Gleichzeitig warnt er vor einer Überbewertung der möglichen Folgen des aktuellen Tauziehens zwischen MSZP und Demokratischer Koalition. Auch ein Jahr vor den letzten Parlamentswahlen habe es einen ähnlichen Streit innerhalb der Opposition gegeben, letztendlich jedoch habe man sich auf ein Wahlbündnis verständigen können, erinnert Róna.
Laut Péter Bándy hat sich die Linke extrem zersplittert. In Magyar Demokrata notiert der regierungsnahe Kolumnist, dass neben der Momentum-Bewegung auch István Pukli (vgl. BudaPost vom März bis September 2016) sowie der ehemalige MDF-Politiker György Gémesi ihre eigenen neuen Parteien angemeldet und ihre Absicht verkündet hätten, 2018 ebenfalls anzutreten. Angesichts dieser Tatsachen hält Bándy ein gemeinsames Vorgehen der Oppositionsparteien für höchst unwahrscheinlich.
András Bódis von der Wochenzeitschrift Heti Válasz sieht die Linke im Bürgerkriegszustand. „In diesem Moment hassen die Anhänger der Demokratischen Koalition die MSZP mehr als Ministerpräsident Orbán – und umgekehrt“, kommentiert der konservative Autor. Unter diesen Umständen ergebe es wenig Sinn darauf zu beharren, mittels Vorwahlen gemeinsame Kandidaten ausfindig zu machen, denn eine solche Übung würde die Brüche, die die wichtigsten Linksparteien voneinander trenne, nur weiter vertiefen, ist Bódis überzeugt.
János Csontos wiederum vermutet in Magyar Idők, dass ungeachtet des gegenwärtigen Schlagabtausches MSZP und Demokratische Koalition einen Kompromiss finden und beim Urnengang 2018 kooperieren werden. Der der Regierung nahestehende Kommentator sieht in dem Streit eine Auseinandersetzung zwischen der sozialdemokratischen MSZP und der liberaleren DK um die ideologische Vorherrschaft. Doch da es höchst unwahrscheinlich sei, dass eine von ihnen den regierenden Fidesz auf sich allein gestellt herausfordern könnte, dürften die beiden linken Parteien im Vorfeld der Wahlen 2018 eine Übereinkunft treffen, schlussfolgert Csontos.
In Népszava fragt Judit N. Kósa sich und ihre Leser, ob beim Wettbewerb im linken Lager überhaupt irgendetwas auf dem Spiel stehe. Die linksorientierte Kommentatorin verweist auf eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Medián, wonach lediglich 43 Prozent der ungarischen Wähler die aktuelle Regierung gerne austauschen würden. Diese relativ schwach ausgeprägte regierungskritische Stimmung sei teilweise auf die Vorherrschaft regierungsfreundlicher Stimmen in den Medien zurückzuführen. Die Herausforderung, der sich nach Ansicht Kósas die Linke stellen muss, reiche tiefer als die aktuellen Streitigkeiten vermuten ließen. Wolle sie erfolgreich sein, sollte sich die Linke nicht nur zusammenschließen. Vielmehr sollte sie auch über Politiker in ihren Reihen verfügen, die sich das Vertrauen und die Unterstützung des Wahlvolkes erarbeiten könnten, mahnt Kósa.