Streit über den Gewaltausbruch in Charlottesville
21. Aug. 2017Rechte, libertäre sowie linke Kommentatoren interpretieren die Vorgänge in Charlottesville vor dem Hintergrund der ungarischen Innenpolitik.
In Népszava sucht Gábor Horváth die Gründe für die „anfängliche Zurückhaltung“ von Präsident Donald Trump, Verfechter einer Vorherrschaft der Weißen sowie rechtsextreme Gruppierungen für rassistisch motivierte Gewalt zu verurteilen. Es handele sich dabei um den Versuch Trumps, seine Popularität im Lager gewaltbereiter Neonazis zu behaupten. Der linksorientierte Kommentator zieht eine Parallele zwischen der Strategie von Präsident Trump und der vom Fidesz betriebenen Politik. Demnach fürchteten sich sowohl der Mann im Weißen Haus als auch Viktor Orbán vor einer deutlichen Distanzierung vom rechtsextremen Radikalismus. Diese Strategie, so Horváth, fördere die allgemeine Popularisierung einer extremistischen Ideologie.
Ein auf Mandiner unter dem Pseudonym Batiszkáf aktiver Blogger begrüßt dagegen, dass Präsident Trump der liberalen Forderung nicht nachgegeben habe, die Schuld für die Gewalt in Charlottesville den Verfechtern einer weißen Vorherrschaft in die Schuhe zu schieben. Der Autor hält die örtlichen Behörden für verantwortlich. Sie hätten es zugelassen, dass sich rechtsgerichtete Demonstranten und mit Helmen, Pfefferspray sowie improvisierten Kampfausrüstungen bewaffnete antifaschistische Gegendemonstranten hätten vermischen können. Batiszkáf erinnert daran, dass es die antifaschistischen Demonstranten gewesen seien, die gegen das Gesetz verstoßen und öffentliche Denkmäler und Statuen ohne Genehmigung entfernt hätten. Sicher habe es auch unter den die Statuen verteidigenden Gegendemonstranten Extremisten gegeben, gesteht der konservative Blogger ein, um sofort darüber zu spekulieren, dass es eine von liberalen Eliten angezettelte Verschwörung gegeben habe, um unter Verweis auf die Geschehnisse Präsident Trump die Unterstützung von gewalttätigen rassistischen Gruppierungen zu unterstellen.
Auch Mariann Őry von Magyar Hírlap macht Liberale, darunter Barack Obama, für die zunehmende Radikalisierung des öffentlichen Lebens der USA verantwortlich. Die der Regierung nahestehende Kolumnistin wirft Liberalen vor, sie versuchten die Gesellschaft in zwei klar voneinander getrennte Fraktionen zu spalten. Zu diesem Zweck werde jeder als Rassist bezeichnet, der nicht die liberalen „politisch korrekten“ Vorstellungen einer positiven Diskriminierung sowie andere symbolische Aspekte teile. Während sich Konservative um die Bewahrung einer gesunden Distanz zur radikalen Rechten bemühten, machten sich Mainstream-Liberale die Ideologie der radikalen Linken zu eigen, wie sich Őry ausdrückt. Dazu zählt die Autorin auch die internationale Bewegung Black Lives Matter. Diese Gruppen, so Őry, würden für sich in Anspruch nehmen, das Leben der Schwarzen zu vertreten. In Wahrheit hingegen seien sie „eher an der Demolierung von Städten“ interessiert. Die liberale „Hexenjagd“ in den Medien und an den Universitäten, positive Diskriminierung sowie zunehmende Arbeitslosigkeit seien die Hauptgründe für die Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, behauptet Őry zusammenfassend.
In Heti Világgazdaság begrüßt László Seres President Trumps „etwas verspätete“ Verurteilung rassistischer Gewalt. Der libertäre Autor hält es allerdings für unangebracht, Extremismus lediglich auf Seiten der extremen Rechten auszumachen. Die linke Antifa sowie Black Lives Matter seien ebenfalls für die Gewalteskalation verantwortlich. Seres geht sogar so weit, die Black Lives Matter-Bewegung als eine militante, gegen Weiße gerichtete Gruppierung zu bezeichnen, die sich in ihrem Kampf gegen vermeintlichen systematischen Rassismus für die Wirtschaftslehre des Kommunismus einsetze. In der Interpretation von Seres sind die Unruhen von Charlottesville Ergebnis der Beherrschung des öffentlichen Diskurses durch zwei fanatische illiberale Gruppierungen, die, ungeachtet ihrer diametral entgegengesetzten Ideologien, dem Kapitalismus und den individuellen Freiheiten extrem kritisch gegenüberstünden. In einer Randbemerkung schreibt Seres: Das Erscheinen illiberaler radikaler Ideologien in den USA werde den Aufstieg ähnlicher extremistischer Gruppen in Europa fördern.
In einem ebenfalls in Heti Világgazdaság erschienenen Artikel kritisiert Gáspár Miklós Tamás Seres scharf für dessen Behauptung, beide Seiten würden sich die Verantwortung für den Gewaltausbruch teilen. Der marxistische Philosoph wirft Seres vor, er mache sich die Rhetorik der ungarischen Regierung zu eigen, die versuche, den Unterschied zwischen Faschisten und Antifaschisten zu verwischen.
Für Zsolt Kapellner von Kettős Mérce ist die Behauptung einer gleichen Verantwortlichkeit für die Ausschreitungen in Charlottesville geradezu Ekel erregend. Der linksalternative Blogger erinnert daran, dass der Fidesz-Abgeordnete Szilárd Németh in einem Facebook-Eintrag die Ereignisse von Charlottesville als das Resultat einer „liberal-faschistischen“ Ideologie bezeichnet hatte. Beide Seiten für die Gewalt verantwortlich zu machen sei die Strategie der Rechten in den USA und in Ungarn und solle ihre Behauptung untermauern, dass die Rechte die schweigende Mehrheit gemäßigter und in der politischen Mitte beheimateter Wähler repräsentiere. All dies diene dem Interesse der gegenwärtig regierenden Eliten, ihr Monopol auf Gewalt aufrechtzuerhalten.
Als Antwort auf Seres macht Kapellner geltend, dass benachteiligte Gruppierungen ihre Lage lediglich mittels Forderung nach einer Grundrevision der politischen Strukturen verbessern könnten, da das aktuelle System „der materiellen und geistigen Ausbeutung bzw. der regelrechten Zerstörung“ der Benachteiligten diene. Kapellner wirft den Regierungen in den USA und Ungarn vor, sie würden rassistisch begründeten Hass schüren, um so gegen radikale linke Gruppierungen mobil zu machen, die sich eine auf Gleichheitsgrundsätzen basierende Welt erträumten.
Tags: Charlottesville, Extremismus, Gewalt