Ungarisch-niederländischer Streit um Diplomateninterview
28. Aug. 2017Regierungsnahe Kommentatoren begrüßen die entschiedene Reaktion der ungarischen Regierung auf die Kritik des aus seinem Amt scheidenden niederländischen Botschafters in Budapest. Linke und liberale Analysten wiederum werfen der Regierung Paranoia sowie eine Überreaktion vor.
Péter Szijjártó, seines Zeichens ungarischer Außen- und Handelsminister, hat den Botschafter seines Landes in Den Haag zu Konsultationen zurückgerufen und angekündigt, dass die bilateralen Beziehungen solange unter dem Botschaftsrang gehalten werden, bis sich die Regierung der Niederlande von einer Aussage des bisherigen niederländischen Botschafters in Budapest, Gajus Scheltema, distanzieren werde. In einem Interview mit dem Wochenmagazin 168 Óra zog Scheltema, der seinen Posten in Ungarn nach zehn Jahren verlässt, Parallelen zwischen der Rhetorik von dschihadistischen Terroristen und der ungarischen Regierung. Konkret sagte er, dass dschihadistische Terroristen, die religiösen Fanatismus benutzen und die Globalisierungsverlierer ansprächen, „sich in derselben Art und Weise Feinde kreieren würden, wie es die ungarische Regierung tut“. Des Weiteren kritisierte der niederländische Botschafter die Einwanderungspolitik der Regierung, die korrupte Verwendung von EU-Geldern sowie die Behandlung kritischer NGOs. Scheltema nannte zudem den Ton der Regierung aggressiv und manichäisch und verglich das polarisierende Weltbild der Regierung mit marxistischen Doktrinen. Als Diplomat, so Scheltema, habe er immer nach Kompromissen statt nach Feinden Ausschau gehalten.
Nach Bekanntwerden des Interviews distanzierte sich der niederländische Außenminister Bert Koenders von Scheltemas „ungeschickten“ Äußerungen. Koenders sagte, es existiere keine Verbindung zwischen dschihadistischem Terrorismus und der Rhetorik der ungarischen Regierung und Scheltemas Unterstellungen würden nicht die Ansichten der niederländischen Regierung widerspiegeln. Nichtsdestotrotz seien die Niederlande besorgt über „die Angriffe der ungarischen Regierung auf NGOs und die Rechtsstaatlichkeit“.
János Dénes Orbán begrüßt die unzweideutige Reaktion der ungarischen Regierung auf die „voreingenommenen und lächerlichen“ Bezichtigungen Scheltemas. In Magyar Idők vertritt der regierungsnahe Kommentator die Meinung, dass Scheltema die grundlegenden Normen der Diplomatie mit seinem Versuch verletzt habe, sich offen in innenpolitische Angelegenheiten Ungarns einzumischen und statt den offiziellen Standpunkt der niederländischen Regierung lieber seine eigene persönliche Meinung öffentlich kund zu tun.
Zoltán Veczán von Magyar Hírlap merkt an, dass in Ungarn investierende und Eigentum erwerbende Niederländer die Sorgen ihrer Regierung offenbar nicht teilen würden. Der regierungsfreundliche Kolumnist spekuliert, ob die Regierung in Den Haag wohl eine Botschaft an Frankreich und Deutschland habe senden wollen, wonach man auf sie zählen könne, wenn es um eine Disziplinierung der zunehmend lautstark und entschieden auftretenden mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten gehe.
Gábor Stier hält viele der von Scheltema angeführten Punkte für legitim, dessen Äußerungen jedoch gleichzeitig für tendenziös und arrogant. In Magyar Nemzet vertritt der konservative Autor aber auch die Ansicht, dass das ungarische Außenministerium überreagiert habe. Es wäre nicht nötig gewesen, als Antwort auf die Vorwürfe den Botschafter aus Den Haag zurückzubeordern. Diese lautstarke Vergeltungsmaßnahme von ungarischer Seite schreibt Stier der Absicht der Regierung zu, ihre eigenen Anhänger im Vorfeld der Parlamentswahl 2018 zu mobilisieren.
Für András Földes hat das ungarische Außenministerium überreagiert. Auf Index.hu beschreibt er den Fall als einen Beweis dafür, dass sich die ungarische Regierung Feinde erschaffen wolle. Der liberale Kommentator betont, dass Scheltema keine Parallele zwischen islamistischem Terror und der Politik der ungarischen Regierung gezogen, sondern vielmehr die diskursiven Strategien beider verglichen habe. Földes selbst sieht Ähnlichkeiten zwischen den – in seinen Augen – Fälschungen der ungarischen Regierung sowie ihrer kämpferischen und vereinfachenden Rhetorik auf der einen und islamistischem Extremismus auf der anderen Seite. Beide wollten Unterstützung mobilisieren und durch die Kreierung eines Feindes Hass erzeugen.
Eine „hysterische Überreaktion“ attestiert Róbert Friss von Népszava der ungarischen Regierung. Ungarn brauche Verbündete innerhalb der EU, um die eigenen nationalen Interessen im Rahmen der zukünftigen Debatten zur Umstrukturierung der EU zu verteidigen, argumentiert der Kolumnist aus dem linken Spektrum und erinnert daran, dass die Tschechische Republik und die Slowakei zunehmend zögerlich seien, Ungarn und Polen in deren Kampf mit der EU zu folgen. Letztendlich könnte Ungarn bald seinen einzigen wichtigen Verbündeten in Russland finden, spekuliert Friss abschließend.
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