Wahlkampf überschattet das Osterwochenende
3. Apr. 2018Autoren der vor Ostern erschienenen Wochenpresse sehen bei den kommenden Sonntag stattfindenden Parlamentswahlen nur geringe Siegeschancen für die gespaltene Opposition. Einigkeit herrscht in der Einschätzung, dass der Urnengang letztendlich in den Wahlkreisen entschieden werden dürfte, wo mehr als die Hälfte der Parlamentssitze vergeben werden.
Trotz des großen Vorsprungs, den Meinungsumfragen dem Fidesz bescheinigen würden, sei seit 2002 kein Wahlkampf mehr so erbittert ausgetragen worden wie in diesem Jahr, schreibt Tamás Lánczi in seinem Leitartikel für Figyelő. Die Fidesz-Widersacher seien unsichtbar, aber stark. Auf ihr Verlangen hin würden „kritische Berichte und sogar Sanktionen aus Brüssel herausgegeben, Artikel in maßgeblichen westlichen Zeitungen veröffentlicht, und sie wenden Hunderte von Millionen Forint auf, um Provokateure zu bezahlen sowie die Öffentlichkeit mit Hilfe gesichtsloser Journalisten und NGOs anzusprechen, die ihre wahren Absichten verbergen“, behauptet der Autor.
Lánczi beschreibt diese Auseinandersetzung als einen ungleichen Kampf, weil sich der Ministerpräsident offen und damit als klares Ziel präsentiere, während seine wahren Gegner im Verborgenen blieben. Der regierungsnahe Autor wirft der sich befehdenden und zersplitterten Opposition vor, das Chaos zu planen. In seinen Schlussbemerkungen vergleicht Lánczi einen unwahrscheinlichen Sieg der Opposition mit der Lage Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg, als das Chaos unverantwortliche Menschen an die Macht gespült habe. Aufgrund dessen habe Ungarn durch den darauf folgenden Friedensvertrag zwei Drittel seines Territoriums verloren, argumentiert Lánczi und warnt: Einhundert Jahre später stehe nicht weniger auf dem Spiel.
Péter N. Nagy bewegt die Frage, ob Jobbik eine Koalitionsregierung mit der Linken oder mit Fidesz bilden würde, wenn die gegenwärtige Regierungspartei die Wahlen am nächsten Sonntag verlieren sollte. In 168 Óra räumt der Kommentator zwar ein, dass sich die ehemals rechtsradikale Partei von den regierenden Kräften distanziere. Trotzdem kann sich Nagy nur schwer vorstellen, warum sich Jobbik – falls in eine Koalition gezwungen – für die MSZP und nicht für den Fidesz entscheiden sollte. Die größte Sorge bereitet Nagy hingegen die Tatsache, dass die beiden rechten Parteien zusammen von mehr als zwei Dritteln der entschiedenen Wähler unterstützt werden. Und so sieht er Parallelen mit den Entwicklungen in ganz Europa und Südamerika, wo die Linke zerfalle und nicht nur ihre Stärke, sondern auch diejenigen Themen verliere, für die sie früher gekämpft habe. Eine Lösung bietet Nagy nicht an, kommt aber zu dem Schluss, dass Linke vor einer Aufgabe stünden, die im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte niemals so schwierig gewesen sei.
András Bencsik vom Wochenmagazin Demokrata geißelt die Opposition für eine Reihe von „unverantwortlichen Versprechungen und Drohungen“ ihres Wahlkampfes. „Wir werden feuern, wir werden abbauen, wir werden inhaftieren, wir werden konfiszieren, wir werden umverteilen“, interpretiert Bencsik die Wahlversprechen der verschiedenen Oppositionsparteien. Der regierungsnahe Publizist hält Jobbik für besonders aktiv, wenn es darum gehe, „Mafiosi“ zu verfolgen und ihr Eigentum zu beschlagnahmen. Im Folgenden verspottet Bencsik die wichtigsten Parteien der Opposition, weil es ihnen am 15. März nicht gelungen sei, mehr Anhänger zu versammeln als der Partei des doppelschwänzigen Hundes, die das gesamte politische System auf die Schippe nimmt. Die Regierungsseite habe nicht einmal ein Wahlprogramm vorgelegt und gebe, abgesehen von der Fortsetzung ihrer bisherigen Arbeit, keinerlei Versprechungen ab. „Migranten werden nicht hereingelassen und der scheinbar moderate, aber unbestreitbare Vermögenszuwachs wird weitergehen“, versichert Bencsik seinen Lesern. Alles in allem wäre ein Sieg der Opposition gefährlicher für die Sicherheit der Nation als das von Migranten ausgehende Risiko. Daher rät Bencsik der Regierung, sie möge aktiver an der Mobilisierung „wohlgesonnener und patriotischer Bürger“ arbeiten.
Dies werde die erste Wahl in der modernen Geschichte Ungarns sein, bei der es nicht um einen Wettbewerb zwischen Spitzenkandidaten gehe, sondern darum, wer in den einzelnen Wahlkreisen die Nase vorn habe, analysiert Gábor Borókai in Heti Válasz die Lage. Das liege daran, dass es die Spitzenkandidaten der Opposition einfach nicht mit Ministerpräsident Viktor Orbán aufnehmen könnten. Trotz des großen Umfrage-Vorsprungs von mindestens vierzig Prozent der entschiedenen Wähler könnte der Fidesz dennoch unterliegen. Dazu müsste aber die Opposition in den einzelnen Wahlkreisen vereint antreten. Das dürfte jedoch schwierig werden, da die Wähler der einzelnen Oppositionsparteien nicht zur Unterstützung des Kandidaten einer anderen Partei verdonnert werden könnten – vor allem dann nicht, wenn sich ihr Spitzenpersonal gegenseitig scharf kritisiere.
Die einfachen Wähler, die die amtierende Regierung in die Wüste schicken wollten, „werden riesengroße Probleme haben, sich in diesem Chaos zurechtzufinden“, beklagt Borókai. Auch zweifelt er am Vorhandensein von Politikern, die in der Lage wären, Ungarn mit einer so heterogenen parlamentarischen Mehrheit zu regieren. Dessen ungeachtet äußert sich der Autor zuversichtlich, dass die Wähler in ihrer Weisheit entscheiden könnten, ob sie mit der gegebenen Situation zufrieden seien oder sie ändern wollten. Borókai selbst glaubt, dass es schädlich wäre, wenn der Fidesz „zum ewigen Regieren verdammt ist“.
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