Geht den Protesten die Puste aus?
21. Jan. 2019Kommentatoren, die der Regierung nahestehen, gehen davon aus, dass der Widerstand gegen eine Novelle des Arbeitsgesetzes bereits schwächer werde. Linksliberale Stimmen betonen wiederum, dass am Samstag im ganzen Land Protestkundgebungen stattgefunden hätten. Die Demonstrationen richteten sich vor allem dagegen, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten künftig bis zu 400 Überstunden jährlich abverlangen können.
Während am Samstag erstmals mehr als 50 regierungskritische Demonstrationen landesweit stattgefunden haben, nahmen an der in Budapest organisierten Hauptkundgebung lediglich rund 2.000 Personen teil – also nur ein Bruchteil der Menge, die an Samstagen in den letzten vier Wochen auf die Straße gegangen war. Die am stürmischsten gefeierte Rednerin war eine 18-jährige und von regierungsnahen Medien scharf kritisierte Gymnasiastin (vgl. BudaPost vom 19. Januar).
Das Internetportal des Wochenmagazins Magyar Narancs berichtet aus fünf größeren Städten, in denen gewerkschaftlich organisierte Kundgebungen von mehreren hundert Demonstranten besucht wurden. In ihrem Bericht über das Geschehen in Budapest geht die liberale Seite einzig auf die Rede von Blanka Nagy ein. Die Gymnasiastin hatte in der vergangenen Woche Aufsehen erregt und ihren Kontrahenten aus dem regierungsnahen Lager auf entsprechende Kritik erwidert, sie hätten sich selbst entehrt.
Auf Mérce freut sich András Jámbor über die vielen Demonstrationen außerhalb der Hauptstadt, beschreibt jedoch die Budapester als einen unorganisierten Fehlschlag. Der linksorientierte Kommentator beklagt, dass niemand vor Ort gewesen sei, der den Protest hätte führen und den unzufriedenen Menschen etwas Programmatisches anbieten könnten, das ihrer Demo Sinn verleihe.
Laut Gábor Kardos waren die französischen Medien die einzige Plattform, wo die Demonstrationen vom Samstag einen großen Erfolg hatten feiern können. Sie hätten nämlich über die ungarnweiten Demonstrationen unmittelbar nach den Meldungen zu den Gelbwesten-Protesten berichtet, so Kardos auf Azonnali. Der Kommentator bezeichnet die Anzahl der Demonstrationen außerhalb Budapests und die dortige Beteiligung als eine in ihrer Bedeutung über die Budapester Demo hinausgehende Entwicklung.
Hunor Both vom Nachrichtenportal Origo bezeichnet die Kundgebung vom Samstag in Budapest angesichts ihrer beispiellos niedrigen Beteiligung als ein armseliges Debakel. Selbst die linksliberale Presse, die in den letzten Tagen versucht habe, die Atmosphäre anzuheizen, habe „das Scheitern der Revolution“ einräumen müssen, so der regierungsfreundliche Journalist.
Auch aus Sicht von Ripost war die Budapester Veranstaltung ein mitleiderregender Fehlschlag. Die Opposition habe sich vollkommen lächerlich gemacht. Die Teilnehmer von einem der drei Demonstrationszüge, die zum Kundgebungsort marschiert seien, „hätten in einem Bus der Linie 7 Platz finden können“, spottet die regierungsnahe Internetseite.
Mária Vásárhelyi wendet sich mit einer Frage an die Adresse führender Funktionäre linker Gewerkschaften: „Warum sprechen Sie noch immer von der Perspektive eines Generalstreiks?“ Längst müsste ihnen doch klar sein, dass es keinen geben werde, so Vásárhelyi in Élet és Irodalom. Erstens sorgten die von der parlamentarischen Mehrheit der amtierenden Regierung während ihrer ersten Legislaturperiode verabschiedeten arbeitskampfbezogenen Einschränkungen dafür, dass das Ausrufen eines Streiks für die Organisatoren zum Risiko werde. Im Falle illegaler Streiks könnten sie nämlich für den Arbeitgebern verursachten Schaden haftbar gemacht werden – und die Definition des Begriffs „rechtswidrig“ sei ziemlich unscharf. Zweitens seien die Gewerkschaften extrem schwach, die Zahl ihrer Mitglieder sinke. Demzufolge sei es schwer vorstellbar, wie sie die Masse der arbeitenden Menschen mobilisieren könnten, notiert die liberale Autorin und verweist drittens auf die Tatsache, dass die Mitgliedsbeiträge nur einen Bruchteil gewerkschaftlicher Ausgaben decken würden, wobei der größte Gewerkschaftsbund jährlich mit 140 Millionen Forint vom Staat subventioniert werde. Dies könnte ein Grund dafür sein, weshalb die Gewerkschaften „faktisch nicht auf Konfrontationskurs zur Regierung gehen“.
In der Druckausgabe von Demokrata kritisiert Gábor Bencsik die Opposition, weil sie die neuen Vorschriften zur Überstundenarbeit als „Sklavengesetz“ bezeichne, obwohl doch niemand zur Ableistung von jährlich 400 Überstunden verpflichtet werde. Es räume lediglich eine entsprechende Möglichkeit ein, abhängig von der Zustimmung der Mitarbeiter. Für Bencsik sind bestimmte Begriffe Teil eines Kriegs der Worte, der seit Jahren von der Opposition geführt werde. So würden sämtliche Migranten als Flüchtlinge bezeichnet oder das Verbot des Lebens im öffentlichen Raum gelte als „Verbot der Obdachlosigkeit“. Als der Fidesz seinerzeit immer mehr Arbeitslose für öffentliche Tätigkeiten herangezogen habe, sei dies von der Opposition als „Zwangsarbeitsgesetz” verunglimpft worden. In Wirklichkeit sei diese Maßnahme überaus erfolgreich gewesen – bis hin zu der Tatsache, dass der Fidesz in den ärmsten Gebieten des Landes und dem höchsten Anteil an mit öffentlicher Arbeit betrauten Personen immer populärer geworden sei, argumentiert der Kolumnist des regierungsnahen Blattes.
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