Letzte Absolventenfeier der CEU in Budapest
1. Jul. 2019Während sich die Central European University von ihrem bisherigen Gastland Ungarn verabschiedet, vergleichen rechte Kommentatoren die von Repräsentanten der Universität vertretenen Ansichten mit kolonialistischem und sogar nationalsozialistischem sowie kommunistischem Gedankengut. Sie rufen der CEU hinterher: „Auf Nimmerwiedersehen!“ Ein marxistischer Philosoph dagegen wirft den Regierenden die Einführung eines ideologischen Absolutismus vor.
In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Der Standard hat CEU-Rektor und Präsident Michael Ignatieff der ungarischen Regierung vorgeworfen, die Unterrichtsfreiheit einzuschränken. Nach Ansicht Ignatieffs wurde die CEU als Teil der Bemühungen der ungarischen Regierung um eine Beschränkung der Freiheit, zur Dominanz aller Institutionen sowie zwecks Etablierung einer christlich-nationalistischen Staatsideologie angegriffen. Anlässlich der letzten in Budapest abgehaltenen Absolventenfeier der CEU wies Ignatieff am vergangenen Montag einmal mehr darauf hin, dass die CEU von der Regierung verboten und aus Ungarn vertrieben worden sei. Dessen ungeachtet werde die Universität in der ungarischen Hauptstadt eine starke Präsenz als Forschungseinrichtung aufrechterhalten, kündigte der Kanadier an. Alexander Soros, Sohn von CEU-Gründer George Soros und Direktoriumsmitglied der Uni, äußerte die Hoffnung, dass Ungarn irgendwann „zur Demokratie zurückkehren“ werde. Seinen Angaben zufolge haben sich George Soros sowie das CEU-Direktorium darauf verständigt, die Universität zu rekapitalisieren, um ihren reibungslosen Wechsel nach Wien und ihren dortigen Betrieb als eine Universität zu gewährleisten, die sowohl US-amerikanische als auch österreichische Abschlüsse verleiht.
In ihrem Blog Látószög zitiert Mária Schmidt Worte Michael Ignatieffs: Demnach hätte er erwartet, dass die Führungen Frankreichs und Deutschlands Ministerpräsident Viktor Orbán zur Verantwortung ziehen und EU-Gelder als Druckmittel einsetzen würden, um politische Veränderungen in Ungarn herbeizuführen. Die rechtsgerichtete Historikerin, die unter der ersten Orbán-Regierung (1998 bis 2002) als Spitzenberaterin des Ministerpräsidenten tätig war, macht darauf aufmerksam, dass diese westlichen Staatslenker von einem viel kleineren Teil der Wahlberechtigten gewählt worden seien als Orbán. Seit Adolf Hitler und verschiedenen russischen Staats- und Parteichefs habe niemand das Recht beansprucht, der ungarischen Regierung vorzuschreiben, was sie tun oder lassen solle, notiert Schmidt. Zudem stellt sie Ignatieffs moralisches Recht auf Kritik an Ungarn in Frage: Immerhin befände sich die Regierung seiner kanadischen Heimat im Zentrum eines Korruptionsskandals, wobei der Premierminister beschuldigt werde, Druck auf die Justiz ausüben zu wollen. Abschließend stellt Schmidt fest, dass, falls Ignatieffs Worte die von der CEU ihren Studenten vermittelten Werte repräsentieren sollten, die Universität in Ungarn tatsächlich fehl am Platz sei.
József György Horváth weist eine Bemerkung von Rektor Ignatieff bezüglich der historischen Sünden Ungarns als eine Kollektivschuldanklage zurück. Auf 888 vergleicht er diese Logik mit nationalsozialistischem Antisemitismus. Der regierungsnahe Kommentator behauptet: „Ignatieff hat also nicht nur mit der ungarischen Regierung, sondern auch mit dem ungarischen Volk ein Problem.“ Horváth verweist auf Ignatieffs Bemerkung über das Bestreben der ungarischen Regierung, für die christliche Kultur einzustehen, und wirft dem Rektor in diesem Zusammenhang vor, „offen gegen den Christianismus aufzutreten“. Die Hoffnung von Alexander Soros, dass die EU die CEU retten könnte, ähnele dem Denken ungarischer Kommunisten, die zur Erreichung ihrer Ziele auf externe Hilfe hätten zurückgreifen müssen. Die CEU habe laut Horváth Ungarn aufgrund ihrer Weigerung, ungarisches Recht einzuhalten, verlassen müssen. Der Autor nimmt die Ankündigung von Soros Junior zur Kenntnis, der zufolge „wir weiterhin in Ungarn aktiv sein werden“, woraufhin er ihm vorab schon einmal seinen – sarkastisch gemeinten – Dank ausspricht.
Die CEU werde in Budapest bleiben, auch wenn sie in Wien US-Abschlüsse vergeben sollte, ist Dávid Megyeri überzeugt. In Magyar Nemzet bezeichnet es der regierungsnahe Kolumnist als absurd, dass Ignatieff und Soros definieren, was Demokratie sei. Die gegen Ungarn erhobenen Anschuldigungen der CEU-Spitzenvertreter hält Megyeri für unsinnig. Vielmehr verlasse die CEU Budapest, weil die Universität die Vorschriften des von der Regierung Orbán erlassenen Hochschulgesetzes nicht erfüllt habe.
Gáspár Miklós Tamás betrachtet den „Angriff“ auf die CEU als Teil der Bemühungen der Regierung, das kulturelle und akademische Leben in Ungarn vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. In einem in Heti Viággazdaság veröffentlichten ausführlichen Essay zum Thema ungarische Intelligenz bezeichnet es der marxistische Philosoph als enttäuschend, dass sich viele Intellektuelle nicht offen gegen die Regierung stellen und gemeinsam ihren Bestrebungen widersetzen würden. Sein Vorwurf an ihre Adresse lautet dann auch: „Sie protestieren nicht, um ihre eigenen Arbeitsplätze zu retten.“
Tags: Bildungssystem, Central European University (CEU), George Soros