Haben Sex- und Korruptionsskandale die Kommunalwahlen beeinflusst?
21. Oct. 2019In Wochen- und Tageszeitungen sowie auf Onlineportalen, die sich mit den Ergebnissen der Kommunalwahlen vom vergangenen Sonntag befassen, wird über die Rolle von Sex- und Korruptionsskandalen im Wahlkampf, ihre Wirkungen auf das Ergebnis des Urnengangs und auch ihre umfassenderen Folgen für die ungarische Politik nachgedacht.
Balázs Cseke weist darauf hin, dass die meisten der in Sex- und andere Skandale verwickelten Politiker (siehe BudaPost vom 14. und 8. Oktober) trotzdem gewählt worden seien. Auf Index konstatiert der liberale Kommentator, dass sowohl Oppositions- als auch Regierungspolitiker, die etwas mit Sexskandalen, Steuerbetrug, Unterschlagung oder körperlicher Gewalt zu tun gehabt hätten, in ihren Ämtern als Bürgermeister bestätigt worden seien. Laut Cseke lassen sich die ungarischen Wähler von derlei Skandalen kaum noch aus der Ruhe bringen.
Auch der Chefredakteur der regierungsnahen Wochenzeitung Magyar Demokrata, Gábor Bencsik, meint, dass in der ungarischen Politik schmutzige „Mafiamethoden“ nicht wirken würden, da sich die Wähler nur mäßig um das Privatleben der Politiker kümmerten. Der Publizist interpretiert dies als Zeichen der Reife des ungarischen Wahlvolkes und weist jene Interpretationen (siehe BudaPost vom 15. Oktober) zurück, die die Niederlage der Fidesz-Kandidaten in Budapest und anderen Großstädten auf das Sex-Video des Győrer Bürgermeister Zsolt Borkai zurückführen.
Ervin Csizmadia hingegen betont in Élet és Irodalom, dass der Borkai-Skandal der Kampagne von Gergely Karácsony in Budapest Auftrieb verliehen habe. Der linke Politologe charakterisiert Karácsonys Mobilisierungsstrategie als originell und notiert, dass sie sich stark auf eine populistische Rhetorik sowie die systematische Koordination zwischen den Oppositionsparteien gestützt habe. Ohne den Sexskandal des Bürgermeisters von Győr hätte Karácsony jedoch möglicherweise nicht gesiegt, orakelt Csizmadia.
„Sie misst mit zweierlei Maß“, wirft Attila Ballai der Opposition vor. Der regierungsfreundliche Kolumnist von der Tageszeitung Magyar Nemzet erinnert daran, dass sich der Győrer Bürgermeister Borkai nach der Kommunalwahl zur Aufgabe seiner Fidesz-Mitgliedschaft genötigt gesehen habe. Mit anderen Worten: Er werde weiterhin als Bürgermeister von Győr fungieren, jetzt jedoch als unabhängiger Politiker. Im Gegensatz dazu würden die linken Politiker, die in einem heimlich mitgeschnittenen Gespräch (siehe BudaPost vom 7. Oktober) über Korruptionspraktiken diskutiert hätten, nach wie vor so tun und arbeiten, als wäre nichts passiert. (Csaba Lackner, das an diesem Skandal beteiligte MSZP-Bezirksratsmitglied, hat die Sozialistische Partei mittlerweile verlassen – Anm. d. Red.)
Magyar Narancs behauptet in ihrem Leitartikel, dass Borkais Parteiaustrittsentscheidung nichts anderes als einen von der Fidesz-Führung angeordneten „erbärmlichen Trick“ darstelle. Die Wähler dürften ihnen dieses Manöver kaum abkaufen, argwöhnt die liberale Wochenzeitung. Niemand – außer „fanatischen Fidesz-Wählern“ – werde glauben, dass andere Politiker weniger korrupt seien als Borkai, so die Schlussfolgerung von Magyar Narancs.
Auch Péter Németh geht davon aus, dass Borkais Entscheidung, den Fidesz zu verlassen, das Gesicht seiner ehemaligen Partei wahren solle. In der linksorientierten Tageszeitung Népszava äußert der Kommentator jedoch Zweifel, dass diese Strategie tatsächlich funktionieren werde. Borkai dürfte auch nach seinem Ausscheiden aus der Partei ein „Problem“ für den Fidesz bleiben, sagt Németh voraus. In der gleichen Tageszeitung wirft Róbert Friss Ministerpräsident Viktor Orbán vor, dass er mit seiner ausbleibenden Verurteilung Borkais „die grundlegenden moralischen Normen der Gesellschaft untergräbt“.
Zwei Kolumnisten von Heti Világgazdaság stellen die Frage, warum sich Zsolt Borkais Sex-Video zu einem so großen Skandal habe auswachsen können, während hingegen andere ähnlich gelagerte Fälle keine vergleichbaren politischen Wellen geschlagen hätten. Zoltán Ceglédi erklärt dies mit dem Gegensatz zwischen den aufgenommenen Sexszenen und der Rhetorik der Regierungspartei. In ähnlicher Weise behauptet auch Tamás Gomperz, dass das Borkai-Video ein viel schärferes Licht als frühere Skandale darauf werfe, „wie korrupt Fidesz-Politiker sind“.
Auf Mandiner argumentiert Kristóf Trombitás, dass christliche Konservative höhere moralische Erwartungen erfüllen müssten als Liberale. Der konservative Kommentator macht darauf aufmerksam, dass die Wähler gegenüber den privaten Sünden liberaler Politiker toleranter eingestellt seien, da sich Liberale für freizügige Werte einsetzen würden. Aber anstatt sich über Doppelmoral aufzuregen, sollten Konservative lieber ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden, empfiehlt Trombitás, der auch die Entscheidung des Fidesz begrüßt, sich Borkais zu entledigen.
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