Wahlkampf biegt auf die Zielgerade ein
7. Oct. 2019Eine gute Woche vor den Kommunalwahlen dominieren Korruptions- und Sexskandale die Kampagne – und dienen den Kommentatoren in Wochen- und Tageszeitungen sowie auf Internetportalen als Hauptthemen.
Magyar Narancs spielt die Bedeutung eines heimlichen Gesprächsmitschnitts herunter, in dem zu hören ist, wie abfällig sich der gemeinsame linke Kandidat für das Budapester Oberbürgermeisteramt über verschiedene seiner Mitstreiter äußert (siehe BudaPost vom 28. September). Die liberale Wochenzeitung legt nahe, dass Gergely Karácsony mit den Korruptionsvorwürfen an die Adresse sozialistischer Kommunalpolitiker lediglich das bekräftigt habe, was den meisten Wählern längst bekannt sein dürfte. Daher sei es unwahrscheinlich, dass die an die Öffentlichkeit durchgesickerte Aufzeichnung Karácsony schwächen werde, meint Magyar Narancs. „Dem undemokratischen Fidesz eine Niederlage beizubringen“, betrachtet das Blatt als das Hauptziel der Opposition und begrüßt es deshalb, dass linke Parteien ihr Bündnis trotz ihrer internen Streitigkeiten am Leben erhalten würden.
In Népszava wirft Tamás Beck der Regierung und dem Ministerpräsidenten persönlich versuchten „Charaktermord“ vor. Dieses Bemühen sei ein Beleg dafür, dass sie Gergely Karácsony fürchten würden. Nach Einschätzung des linksorientierten Kolumnisten hat Viktor Orbán „seit geraumer Zeit seine moralische Überlegenheit“ und Glaubwürdigkeit eingebüßt, weshalb es ihm nicht gelingen werde, den Kandidaten der Opposition für das Oberbürgermeisteramt in Budapest zu schwächen, indem er auf „schmutzige Weise“ erhaltene private Gesprächsmitschnitte veröffentlichen lasse. Möge Budapest für die Opposition stimmen, lautet die Hoffnung Becks. Auch der ehemalige Chefredakteur von Népszava, Péter Németh, wirft der Regierung vor, die Oppositionskandidaten mit bisher nicht dagewesenen Methoden diskreditieren zu wollen.
In einem sarkastischen Artikel in der gleichen Tageszeitung bezweifelt Attila Sebestyén, dass die Kommunalwahlen in der nächsten Woche den lokalen Selbstverwaltungen als solchen dienen würden. Wichtige Entscheidungen würden von der Regierung, nicht jedoch von den Gemeinden getroffen, behauptet der linke Kommentator. Und aufgrund der Korruption könnten die Wähler nur bestimmen, wer mehr stehlen würde, notiert Sebestyén.
Zsolt Bayer, Kolumnist bei Magyar Nemzet, wiederum empfindet es als ekelhaft, dass Oppositionspolitiker den Kandidaten der Linken für das Amt des Bürgermeisters im XI. Budapester Stadtbezirk verteidigen. (Anfang dieser Woche hatte das regierungsnahe Onlineportal Origo Imre László der sexuellen Belästigung bezichtigt. Um seine Behauptung zu untermauern, wurde eine namentlich nicht genannte Arztkollegin zitiert. Demnach habe László – ihr Vorgesetzter – sie vergewaltigen wollen. Gergely Karácsony und die Demokratische Koalition wiesen die Vorwürfe als pure Lügen zurück – Anm. d. Red.)
Bayer erinnert daran, dass es dieselben Politiker stets sehr eilig gehabt hätten, jede öffentliche Person fertigzumachen, der sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen worden sei. All dies zeige, so Bayer abschließend, dass es sich bei den Oppositionspolitikern um „Ganoven“ handele.
In der gleichen Tageszeitung vergleicht Balázs Bácskai eine weitere Reihe von Bändern und Fotos mit der berühmt-berüchtigten „Őszöd-Rede” des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány aus dem Jahr 2006. (Am Samstag hatte Hír TV ein Video präsentiert, in dem MSZP-Politiker aus dem Budapester XIX. Stadtbezirk über ihren Reichtum prahlen und erörtern, wie man Geld aus Korruptionsgeschäften investieren könne – Anm. d. Red). Bácskai fragt sich, ob die Wähler derartig korrupte Politiker noch unterstützen wollten.
Spiele das Privatleben im Bereich der Politik heutzutage eine größere Rolle als früher?, fragt Szabolcs Dull auf Index. Der liberale Analyst erinnert daran, dass man in den vergangenen Wochen einem halben Dutzend Kommunalwahlkandidaten der Opposition sexuelle Fehltritte zur Last gelegt habe. In einigen Fällen seien auch heimlich hergestellte Aufzeichnungen über intime Beziehungen veröffentlicht worden. Bisher habe in Ungarn das Privatleben in der Politik als Tabu gegolten, erinnert Dull und fragt sich sowie seine Leserschaft, ob die Wähler in derartige Skandale verwickelte Politiker wohl bestrafen würden.
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