Leitartikler der Wochenpresse zum neuen Jahr
6. Jan. 2020In ihren Neujahrsausgaben versuchen sich die verschiedenen Wochenmagazine über die Ereignisse der vergangenen zwölf Monate sowie die möglichen Erwartungen für 2020 klar zu werden.
In der Druckausgabe von Mandiner erinnert Herausgeber Zoltán Szalai an den bevorstehenden 100. Jahrestag des Friedensvertrags von Trianon, der die territoriale Zerstückelung des untergegangenen Königreichs diktiert und in der Konsequenz die Geschichte Ungarns im 20. Jahrhundert weitgehend bestimmt habe. Die dem Land von den Siegern des Ersten Weltkriegs im Versailler Lustschloss Petit Trianon auferlegten Bedingungen „haben Ungarn in die deutsche Interessensphäre gerückt“, erklärt der Autor. In der Folge seien während des Zweiten Weltkriegs und danach ganze Gesellschaftsschichten praktisch verschwunden. Dabei habe es sich um einstmals starke Säulen der ungarischen Gesellschaft gehandelt, darunter die Mehrzahl der ungarischen Juden, die Deutschen, der Adel, das Bürgertum sowie die sozialdemokratische Bewegung. Die Lektion, die Szalai aus der Vergangenheit zieht, lautet: Fremdherrschaft habe in Ungarn niemals „sympathische“ Kräfte an die Macht gebracht. 100 Jahre nach Trianon seien die Ungarn heutzutage – „in letzter Instanz und innerhalb eines allgemeinen internationalen Gefüges“ – Herren ihres eigenen Schicksals, resümiert Szalai.
Beim Fidesz handele es sich zwar nach wie vor um die weitaus größte politische Kraft in Ungarn, doch habe er sein Vorhaben, der Opposition 2019 den endgültigen Schlag zu versetzen, nicht verwirklichen können, schreibt Szabolcs Szerető in Magyar Hang. Die Kommunalwahlen im Herbst hätten angesichts des Sieges der Opposition in elf Städten sogar den Mythos der Unbesiegbarkeit des Fidesz zerstört. Weite Teile der Bevölkerung seien sich überraschend einig in ihrer Unterstützung von gemeinsamen Kandidaten der Opposition gewesen, obwohl sich die oppositionellen Kräfte in vielen Fragen noch immer uneins präsentierten. Das sie verbindende Element sei ihr Wunsch nach Ablösung der amtierenden Regierung. Doch erinnert der Kolumnist daran, dass mehr nötig wäre als dieses gemeinsame Bestreben, wollten sie bei den Parlamentswahlen 2022 wirklich siegen. Unter anderem sollte die Opposition neue attraktive Führungspersönlichkeiten hervorbringen, die dem Fidesz in zwei Jahren auch tatsächlich gewachsen sein könnten, rät Szerető abschließend.
In Heti Világgazdaság macht Zoltán Lakner die Opposition darauf aufmerksam, dass sich der Fidesz nach dem Schock vom Herbst 2019 auf einen massiven Propagandafeldzug vorbereite. Árpád Habony, ihr erfolgreicher Wahlkampfstratege, sei bereits aus London „zurückbeordert“ worden. (Zur Zeit betreibt Habony in der britischen Hauptstadt eine Nachrichten- sowie eine PR-Agentur – Anm. d. Red.) Diese Maßnahme ist laut Lakner an sich schon Vorbote einer neuen Propagandakampagne. Der Leitartikler fordert die Opposition auf, sie möge sich darauf verständigen, was sie „in einer Welt nach Orbán“ unternehmen würde. Auch widerspricht er „dem zunehmenden Gefühl“, dass eine Debatte über politische Zukunftsprojekte die bestehenden Risse innerhalb der Opposition nur noch ausweiten würde. Die Opposition werde an Attraktivität gewinnen, wenn das Wahlvolk eine Vorstellung davon bekäme, was zu erwarten sei, würde es Ministerpräsident Orbán aus dem Amt wählen, gibt sich Lakner überzeugt.
In Élet és Irodalom äußert der Mathematiker und Wohlfahrtsexperte András Simonovits die Meinung, dass die Bemühungen der Regierung um eine Steigerung der Geburtenrate wirkungslos blieben, weil sie lediglich auf die Mittel- und Oberschicht abzielen würden. Die komplette Einkommenssteuerbefreiung für Frauen mit mindestens vier Kindern, deutliche schrittweise Einkommenssteuererleichterungen für in eine Familie hineingeborene Kinder sowie äußerst vorteilhafte Wohneigentumskredite mit bis zu 50 Prozent vom Staat übernommener Tilgung für Familien mit mehreren Kindern seien einzigartige ungarische Erfindungen, räumt Simonovits ein. Die Ärmsten jedoch, die aufgrund ihres geringen Einkommens kaum Steuern zahlen oder weitgehend von der Sozialhilfe leben würden, blieben automatisch außen vor. Doch auch bestimmte Linksliberale bekommen ihr Fett weg. Das betrifft vor allem diejenigen von ihnen, die sich jeder staatlichen Einmischung in Familienangelegenheiten widersetzen und meinen, dass die aufgrund niedriger Geburtenraten entstandenen Lücken mit Hilfe von Einwanderern gefüllt werden könnten. Simonovits, selbst ein Liberaler, wirft ihnen vor, sie würden die wirtschaftlichen Auswirkungen einer alternden Bevölkerung sowie die ablehnende Haltung vieler Menschen gegenüber dem Phänomen der massenhaften Einwanderung einfach ignorieren.
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