Freedom House stuft Ungarn herab
11. May. 2020Da die amerikanischen Beobachter von Freedom House Ungarn als ein „hybrides Regime“ und damit nicht einmal mehr als eine halbwegs konsolidierte Demokratie bezeichnen, sehen sich oppositionelle Kommentatoren in ihrer Lageeinschätzung bestätigt, während der Bericht von regierungsnaher Seite als mangelhaft kritisiert wird.
In ihrem Jahresbericht „Nations in Transit“, der 29 Länder von Mitteleuropa bis hinein in den zentralasiatischen Raum berücksichtigt, erkennt die in Washington ansässige Organisation „einen erstaunlichen demokratischen Kollaps“ und legt nahe, dass es „heute weniger Demokratien in der Region gibt als zu irgendeinem Zeitpunkt seit der Erstveröffentlichung eines Jahresberichts im Jahr 1995“. Was Ungarn betrifft, so behauptet Freedom House, dass das Coronavirus-Notstandsgesetz der Regierung gestatte, auf unbestimmte Zeit per Dekret zu regieren, was „einen abrupten demokratischen Niedergang“ verstärkt habe. Infolgedessen rechnen die amerikanischen Beobachter Ungarn zu den „hybriden Regimen“, was eine Herabstufung von der noch im letzten Jahr zuerkannten Kategorie „halb-konsolidierte Demokratie“ bedeutet.
In einer Reaktion auf den Bericht von Freedom House äußert der ehemalige Spitzenliberale und Parlamentsabgeordnete Gábor Horn die Ansicht, dass sich sogar Ministerpräsident Viktor Orbán im Klaren darüber sei, eine rote Linie überschritten zu haben. So erklärt er in einem Interview mit Klubrádió den Brief Orbáns an führende Christdemokraten aus ganz Europa, in dem er sich gegen den Vorwurf undemokratischer Praktiken in Ungarn verwahrt hatte (siehe BudaPost vom 6. Mai 2020). Orbán wisse, dass er sich weit vom europäischen Mainstream entfernt habe. Und so bereite er sich auf eine Zeit vor, in der die Kernländer bei der Weiterentwicklung der europäischen Integration zusammenstehen würden, während man eine Minderheit von Ausreißern an den Rand dränge, sie jedoch nicht vertreibe, so der Vorsitzende des liberalen Braintrust Republikon. Horn spekuliert, dass der Regierungschef den Ehrgeiz besitze, Anführer dieser Rebellentruppe zu werden.
In einer bitteren Stellungnahme zum Freedom House-Bericht macht Azonnali darauf aufmerksam, dass Ungarn als einziges Land der Visegrád-Gruppe unterhalb der Demokratie-Linie rangiere. Die Slowakei und die Tschechische Republik würden als voll konsolidierte Demokratien bezeichnet, während Polen zu den halb-konsolidierten zähle. Ungarn sei in die Kategorie von Balkanländern wie Serbien, Kosovo, Mazedonien und Albanien sowie auf das Niveau der Ukraine gesunken, bemerkt Azonnali.
In seiner Népszava-Kolumne, in der er wöchentlich Behauptungen der Regierenden infrage stellt, weist der liberale Star-Rundfunkjournalist György Bolgár die Aussage von Regierungssprecher Zoltán Kovács zurück, Freedom House habe sich „zur Schaufensterorganisation von George Soros entwickelt“. Bolgár fragt Kovács sarkastisch, wen er denn für den Präsidenten der Vereinigten Staaten halte. Denn Freedom House werde nicht vom ungarisch-amerikanischen Finanzier George Soros gefördert, sondern von der US-Regierung finanziert (88 Prozent des FH-Budgets werden vom Außenministerium getragen – Anm. d. Red.).
Der Bericht von Freedom House spiegele die Position der inländischen linksliberalen Gegner der Regierung wider, notiert Attila Palkó auf Mandiner. Die Ungarn betreffenden Abschnitte seien das Werk eines einzigen Autors, nämlich von Gábor Filippov, Doktorand an der von Soros gegründeten Central European University. Zudem sei Filippov Dozent an einer politischen Akademie der Sozialistischen Partei und habe für einen mit der Sozialistischen Partei verbundenen Think Tank zu Zeiten gearbeitet, als der heutige DK-Chef Ferenc Gyurcsány Vorsitzender der MSZP gewesen sei.
Palkó bezweifelt die Stichhaltigkeit des Begriffs „hybrides Regime“ als wissenschaftliche Kategorie. Einige mögen es für etwas halten, das sowohl außerhalb des Bereichs der Demokratie als auch des Autoritarismus liege, erklärt Palkó. Die Formel jedoch in einem offiziellen Dokument zur Einstufung von Ländern zu verwenden, hält der Autor für bedenklich.
Er misstraut zudem der Seriosität eines Länderberichts, in dem alle unterschiedliche Aspekte eines demokratischen Systems beleuchtenden Fragen von einer einzigen Person beantwortet würden, und zwar einem erklärten Gegner der Regierung. Dabei solle dieser Bericht doch nach eigenem Selbstverständnis eine unvoreingenommene Bewertung der Leistung derselben Regierung abliefern.
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