EU-Rechtsstaatlichkeitsklausel weiter umstritten
24. Jul. 2020Ein der politischen Mitte zuzurechnender Analyst sowie sein konservativer Kollege sind sich einig: Das EU-Rettungspaket biete dem Europäischen Rat schlagkräftige Instrumente zur Bestrafung solcher Staaten, die einer Verletzung grundlegender EU-Normen für schuldig befunden worden seien.
Die Vereinbarung über den europäischen Rettungsfonds eröffne Brüssel einen größeren Spielraum zur Sanktionierung von Regierungen, die gegen grundlegende EU-Normen verstoßen würden, als es verschiedene erste Interpretationen des Abkommens hätten vermuten lassen, schreibt Attila Weinhardt auf Portfolio.
Der Autor räumt zwar ein, dass der Wortlaut absichtlich vage formuliert sei, so dass alle Beteiligen einen Sieg für sich reklamieren könnten. Dennoch sage das Abkommen eindeutig aus, dass der Europäische Rat mit einer qualifizierten Mehrheit Sanktionen beschließen könne. In der Praxis bedeute dies: Im Europäischen Rat könnten künftig weder Ungarn noch Polen Maßnahmen gegen eines der beiden Länder – oder beide gemeinsam – mit einem Veto verhindern. Auch eine entsprechende Drohung funktioniere dann nicht mehr, betont Weinhardt und fährt fort: Das Europäische Parlament habe bereits durchblicken lassen, dass es die Europäische Kommission auffordern werde, neue Mechanismen zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in der EU einzuführen.
Darüber hinaus könnte gemäß einer Andeutung Ursula von der Leyens auch der Europäische Rat zusätzliche Befugnisse erhalten, um gegen EU-Normen verstoßende Mitgliedsstaaten zu bestrafen. In diesem Zusammenhang empfindet Weinhardt eine Aussage der ungarischen Justizministerin als recht aufschlussreich. (Judit Varga hatte am Mittwoch erklärt, sie erwarte im Herbst einen noch härteren „Angriff“ seitens der Europäischen Union – Anm. d. Red.)
Das Abkommen könnte der EU tatsächlich die Bestrafung von Ländern ermöglichen, denen Verstöße gegen Grundprinzipien der Union vorgeworfen würden, meint Barnabás Heincz von Mandiner. Der konservative Analyst vermutet, dass Ungarn und Polen mit den Südeuropäern zusammenarbeiten könnten, um strenge Finanzauflagen im Europäischen Rat abzuschmettern und gemeinsam Vorschläge zu blockieren, die einem von ihnen schaden würden. Doch ohne weitere Verbündete könnten Ungarn und Polen selbst kein Veto mehr gegen Resolutionen einlegen, schreibt Heincz. Deshalb müsste Ungarn dringend dafür sorgen, dass die neue Politik zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit mit den eigenen strategischen Interessen in Einklang stehe.
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