Diskussion um Frage der Rechtsstaatlichkeit geht weiter
5. Oct. 2020Linke und liberale Kommentatoren werfen der Regierung vor, mit ihrer Zurückweisung von Kritik der EU am Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn einen Propagandakrieg zu führen. Regierungsnahe Kommentatoren vertreten dagegen die Auffassung, dass der Tadel der EU von der Opposition abstamme und zur Erpressung des Landes missbraucht werde.
Nach Einschätzung von Péter Hamvay hat Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Forderung nach Absetzung der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Jourová „einen neuen Unabhängigkeitskrieg gegen die EU gestartet“. Im Wochenmagazin 168 Óra bezeichnet der linke Kolumnist die Kritik Jourovás an der ungarischen Regierung als gerechtfertigt. Allerdings sei der deutsche Vorschlag, die Beteiligung am EU-Coronavirus-Rettungsfond von der Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien abhängig zu machen, als nicht ausreichend, um die Erosion der Pressefreiheit in Ungarn noch zu stoppen.
Der Chefredakteur von Magyar Demokrata, András Bencsik, kritisiert Vera Jourová für ihre Behauptung, dass „die Diktatur der Mehrheit keine Demokratie“ sei. Die Demokratie stelle per Definition die Herrschaft der demokratisch gewählten Mehrheit über die Minderheit dar, schreibt der regierungsnahe Publizist und ergänzt: Es seien Liberale, die in Nachfolge der bolschewistischen Ideologie für eine „kranke Demokratie“ eintreten würden. Sie wollten unter Nutzung nicht-demokratischer Mittel wie Beeinflussung durch die Medien sowie mit Hilfe von Slogans wie Rechtsstaatlichkeit und gegenseitige Kontrolle an die Macht gelangen.
Zoltán Kovács stellt klar, Vera Jourová habe lediglich nur die Kritik wiederholt, die bereits in Stellungnahmen der Venedig-Kommission sowie im Tavares- und im Sargentini-Bericht enthalten sei. Der liberale Journalist und Chefredakteur der Wochenzeitung Élet és Irodalom hält Jourovás Aussage für gerechtfertigt, da die Vizepräsidentin der EU-Kommission die ungarische Regierung und nicht das ungarische Volk kritisiert habe. Kovács fügt hinzu, dass viele Ungarn nicht in der Lage seien, sich eine sachkundige und unabhängige Meinung zu bilden, da sie keinen Zugang zu angemessenen Informationen hätten. Die Regierung versuche, so Kovács, die Realität zu verzerren. Dadurch sollten die Ungarn nicht erkennen können, dass ihr Land von einer „korrupten Oligarchie“ regiert werde.
Auf Mérce notiert Orsi Pósfai, dass die ungarische Regierung offenbar einen „sicheren Raum“ und politische Korrektheit anzumahnen scheine. Mit ihrem Versuch, Jourová zum Schweigen zu bringen, tue die Regierung genau das, was sie mit Blick auf die Liberalen kritisiere: Sie wolle ihre Kritiker mundtot machen, indem sie für politisch korrektes Tun und Reden eintrete, behauptet die alt-linke Bloggerin.
Laut Ottó Gajdics von Magyar Nemzet handelt es sich beim Länderbericht zur Rechtsstaatlichkeit der Europäischen Kommission um „eine reine Lüge“, die auf der „Propaganda Orbán-feindlich gesinnter Oppositionsparteien“ und den Ansichten George Soros finanzierter NGOs beruhe. Gajdics kommentiert die Aussage der Vizepräsidentin des Europaparlaments Katarina Barley, wonach Ungarn „finanziell ausgehungert“ werden müsse, falls es sich nicht an die EU-Normen halte, und behauptet, dass die EU Ungarn mit der Sperrung von Finanzmitteln erpressen wolle.
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