Was von 2020 übrig bleibt
4. Jan. 2021Regierungskritische Stimmen sehen die ungarische Führung sowohl in der Innen- als auch der Außenpolitik auf dem falschen Weg, sind aber auch unzufrieden mit der Leistung der Opposition. Ein regierungsnaher Analyst beschreibt die Konflikte des Kabinetts auf internationaler Ebene als Kampf um die nationale Souveränität.
In einem Beitrag für das Onlineportal Azonnali bezeichnet Dániel Gyenge 2020 als das Jahr des Paternalismus. Die Covid-Pandemie habe sowohl bei der Regierung als auch bei der Opposition paternalistische Reflexhandlungen ausgelöst. Der Autor beschuldigt die Regierenden, die Bürger wie unmündige Kinder zu behandeln, sie in ihren Häusern einzusperren sowie Polizei und sogar Soldaten auf die Straße zu schicken. Die Opposition hingegen habe es bereitwillig akzeptiert, dass man der Regierung Sondervollmachten zugestehen sollte. Dabei habe es keinen echten Grund gegeben, sich vor der Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen nicht der Zustimmung des Parlaments zu versichern. Ein Oppositionsabgeordneter habe gar gefordert, dass die Regierung Verbreiter von Fake News über die Pandemie verfolgen sollte. Die Menschen sollten sich wehren und Bevormundungen zurückweisen, lautet für Gyenge die wichtigste Lehre des Jahres 2020.
2020 sei für Ungarn ein „schwarzes Jahr“ gewesen, notiert Szabolcs Szerető in Magyar Hang. Der Kolumnist wirft der Regierung vor, erst mit Verspätung auf die vom Coronavirus ausgelöste Notstandslage reagiert zu haben. Damit trage sie zur weit verbreiteten Skepsis gegenüber den Gefahren der Pandemie sowie Schutzimpfungen bei. Szerető beklagt auch das rücksichtslose Verhalten der Regierung auf internationaler Bühne. So bezeichnet er die Unterstützung Donald Trumps durch den Ministerpräsidenten als ein verlorenes Spiel, dessen Folgen unter der Präsidentschaft Bidens erhebliche Schwierigkeiten in den amerikanisch-ungarischen Beziehungen nach sich ziehen könnten. Gleichzeitig habe sich Ungarn auch innerhalb der Europäischen Union zum schwarzen Schaf entwickelt. Dennoch glaubt Szerető, dass die Chancen Orbáns bei den Parlamentswahlen 2022 „gut“ seien – außer, die Opposition kriege es endlich hin, eine glaubwürdige Alternative aufzuzeigen.
In den Augen des Politikwissenschaftlers Tamás Fricz war das Jahr 2020 vom Bestreben der globalistischen Eliten geprägt, den Nationalstaat zu schwächen. Sie nutzten internationale Organisationen und Allianzen, um ihre Agenda voranzutreiben, schreibt Fricz in einem Kommentar für die Tageszeitung Magyar Nemzet. Zugleich jedoch griffen sie auch traditionelle Werte und Gewohnheiten an, weil die nationale Gemeinschaft ohne sie nicht überleben könne, behauptet Fricz, der davon überzeugt ist, dass die Verteidigung des Nationalstaates „die größte Herausforderung“ nicht nur für das Jahr 2021, sondern für das ganze 21. Jahrhundert darstelle.
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