Widersprüchliche Analysen zur Natur des „Orbán-Regimes“
29. Mar. 2021Ein renommierter liberaler Wirtschaftswissenschaftler glaubt, Ungarn sei weder eine Demokratie noch eine Diktatur, während ein konservativer Philosoph Ministerpräsident Orbán für den Vollender der politischen Wende hält.
In einem Interview mit dem Wochenjournal Heti Világgazdaság zieht der Wirtschaftswissenschaftler János Kornai seine frühere Beschreibung des politischen Aufbaus in Ungarn als Autokratie zurück. Der emeritierter Professor der Harvard-Universität räumt ein, dass der Begriff in der Fachliteratur in einer anderen Bedeutung verwendet werde. Trotzdem beharrt er darauf, dass es sich bei Ungarn nicht um eine Demokratie, aber eindeutig auch nicht um eine Diktatur handeln würde. Vor dreißig Jahren habe er sich mit seiner Vermutung geirrt, Kapitalismus und Demokratie würden die Probleme Ungarns lösen.
In Wirklichkeit habe der Kapitalismus enorme Ungleichheiten geschaffen. Die Demokratie wiederum habe die Korruption nicht verhindern können. Ungarn sei im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten oder Großbritannien nie eine nachhaltige Demokratie gewesen, behauptet der 93-jährige Ökonom und bestreitet, dass sich Ungarn in absehbarer Zeit zu einer Demokratie entwickeln werde.
Die Strategie von Ministerpräsident Viktor Orbán bestehe darin, die Wende zu vollenden, gibt hingegen der Philosoph András Lánczi in einem Interview mit Mandiner zu Protokoll. Was von seinen Gegnern als ungezügelte Korruption angesehen werde, sei der Versuch der Schaffung einer Mittelklasse. Das kommunistische Regime habe Instrumente entwickelt, um seine Ambitionen durch die Verstaatlichung des Kapitals zu erfüllen, während die Liberalen der Wendezeit mit Hilfe von Privatisierungen riesige Reichtümer erworben hätten. Bei der Quelle habe es sich stets um öffentliches Vermögen gehandelt.
Zu der Frage, warum eine Mittelschicht geschaffen werden müsse, erklärt Lánczi, dass ohne eine solche die ständige Gefahr einer politischen Radikalisierung bestehe. Was viele im heutigen Ungarn als Korruption bezeichnen würden, sei eine Politik, die das nationale Interesse im Blick habe. Bei alledem spiele der Ministerpräsident eine zentrale Rolle, betont der regierungsnahe Philosoph. Der Fidesz wird seiner Ansicht nach so lange bestehen, wie Orbán als Politiker aktiv bleibe.
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