Ungarns Zukunft in der EU
20. Aug. 2021Ein regierungsfreundlicher Politologe und Aktivist hält die Zeit für gekommen, um die potenziellen Vorteile eines sogenannten Huxit zu bewerten. Konservative sowie liberale Kommentatoren widersprechen, wenn sie die EU-Mitgliedschaft als Ungarns wichtigstes strategisches Interesse bezeichnen.
Tamás Fricz glaubt, es sei an der Zeit, ernsthaft über einen Austritt Ungarns aus der Europäischen Union zu diskutieren. In der Zeitung Magyar Nemzet schreibt der Berater der regierungsnahen Denkfabrik Alapjogokért Központ (Zentrum für Grundrechte): Die Kritik der EU am ungarischen Gesetz gegen Kindesmissbrauch sowie der angedrohte Einbehalt von Finanzmitteln erforderten eine Abwägung, ob nicht der Huxit dem Land mehr Vorteile beschere als die weitere EU-Mitgliedschaft. Nach Ansicht des Autors hat die EU ihre politische Anziehungskraft eingebüßt, da sie sich zu einem stark zentralisierten Staat entwickelt habe, der von globalistischen, die nationale Souveränität nicht achtenden Finanzeliten geführt werde.
Mit Blick auf die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen eines Huxit glaubt Fricz, dass Ungarn durch einen Austritt aus der EU nicht viel verlieren würde, da die Mitgliedschaft die Vorherrschaft ausländischer Firmen bedeute, die Profite aus dem Land abschöpfen würden. Ansonsten bezweifelt er, dass ausländische Firmen das Land verlassen würden, selbst wenn Ungarn aus der EU austreten sollte. Auch dürfte der Huxit keine negativen sicherheits- oder geopolitischen Auswirkungen haben, da Ungarn in jedem Fall Mitglied der NATO bleiben werde.
In Bezug auf kulturelle Aspekte behauptet Fricz, dass die EU die christlichen Werte aufgegeben und daher für sich eine andere Zukunft als Ungarn gewählt habe. Fricz schließt seine Überlegungen ohne die klare Feststellung, dass ein Huxit die richtige Wahl für Ungarn wäre. Allerdings verweist er darauf, dass der Fidesz sein Gesicht habe wahren können, als man mit dem Austritt einem Rausschmiss aus der Europäischen Volkspartei zuvorgekommen sei – eine Strategie, die seiner Meinung nach auch für den Huxit relevant sein könnte.
Mátyás Kohán von Mandiner vertritt einen anderen Standpunkt und äußert die Befürchtung, dass ein Huxit für Ungarn verheerend wäre. Der konservative Kommentator weist darauf hin, dass sich ein anderer Fidesz-Spitzenpolitiker, nämlich Parlamentspräsident László Kövér, ebenfalls negativ über die EU geäußert habe. Gewiss, die EU agiere höchst ineffizient und verletzte die nationale Souveränität. Dennoch seien der gemeinsame Markt und die Freizügigkeit wertvolle Errungenschaften und die meisten Ungarn betrachteten die EU nach wie vor als einen Garanten für ihren Wohlstand. Daher sei es höchst fahrlässig, so Kohán, wenn im Kulturkampf engagierte Lehnstuhl-Intellektuelle mit der Idee des Huxit liebäugeln würden. Anstatt aus der EU auszutreten und eine zertifizierte Diktatur nach weißrussischem Vorbild zu werden, sollten ungarische Politiker innerhalb der EU für Ungarn – und die europäischen Werte – kämpfen.
Auch Flóra Dóra Csatári und Csongor Körömi sind fest davon überzeugt, dass eine weitere Mitgliedschaft in der EU im Interesse Ungarns liege. Auf Telex erinnern die liberalen Autoren daran, dass Fidesz-Politiker – darunter Ministerpräsident Viktor Orbán – in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar hin und wieder angedeutet hätten, Ungarn würde auch außerhalb der EU prosperieren. Dennoch hätten sie die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft nie ernsthaft bestritten.
Der Fidesz sei seit 2010 zunehmend EU-skeptischer geworden, vermuten die beiden Autoren und führen dies auf den moderaten Kurswechsel von Jobbik sowie ihren Verzicht auf eine gegen die Union gerichtete Rhetorik, die Entfremdung des Fidesz gegenüber der EVP und die Zusammenarbeit der Regierung mit China und Russland zurück. Nichtsdestotrotz möchte die große Mehrheit der Ungarn, einschließlich der Fidesz-Wähler, in der EU bleiben, konstatieren Csatári und Körömi. Russland und China schätzten die ungarische Partnerschaft, weil Ungarn ein EU-Mitglied sei. Der Huxit wäre nur für die Kritiker der ungarischen Regierung in der EU von Vorteil, vor allem für Präsident Macron, der eine starke und noch stärker zentralisierte EU schaffen wolle, meinen Csatári und Körömi.