Zum Zustand der ungarischen Wirtschaft
1. Jan. 2022Ein linker Kommentator bezeichnet die gut drei Monate vor den nächsten Parlamentswahlen eingeführten sozialpolitischen Maßnahmen als verzweifelten Versuch der Regierung, ihre Popularität zu erhöhen. Sein rechtsorientierter Kollege hält diese Maßnahmen für den Beweis solider Wirtschaftspolitik.
Die ungarische Wirtschaft befinde sich in einer schwierigen Lage: Die Inflation sei hoch, das Haushaltsdefizit explodiere und die Zahlungsbilanz erreiche Negativrekorde. So lautet die Analyse von Róbert Friss in einem Kommentar für die Tageszeitung Népszava. Wer auch immer die Wahlen gewinne, so Friss, werde die Wirtschaft in einem solchen Maße sanieren müssen, dass einige führende Oppositionspolitiker sogar schon darüber nachdächten, ob es nicht besser wäre, den Fidesz gewinnen und seinen eigenen Schlamassel beseitigen zu lassen. Unter diesen Umständen hält der Kolumnist die Einführung von Maßnahmen zum Stimmenkauf als einen letzten Versuch, den er mit jener berühmten Szene aus einem Shakespeares-Drama vergleicht, in der Richard III im Laufe der letzten Schlacht sein Pferd verliert und kurz vor seinem Tod ausruft: „Ein Pferd, ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“
Dagegen wirft Dávid Megyeri linken Kritikern vor, dass sie außer Sparmaßnahmen keine Wirtschaftspolitik kennen würden. Die Regierung habe während der Corona-Krise eine Welle von Unternehmenspleiten verhindert und stimuliere nun das Wachstum, das die Ausfälle bei den öffentlichen Finanzen in den kommenden Jahren ausgleichen werde. Steuererleichterungen und Rentenerhöhungen im nächsten Jahr seien Teil dieses Prozesses und durch das Wachstum von über sechs Prozent in diesem Jahr ermöglicht worden, fügt Megyeri in Magyar Nemzet hinzu. Abschließend weist er darauf hin, dass das von den Regierungsgegnern skizzierte Untergangsszenario in krassem Gegensatz zu den Stellungnahmen der wichtigsten internationalen Ratingagenturen stehe, die die ungarische Staatsverschuldung in diesem Jahr positiver bewertet hätten.