Wochenpresse zum Fidesz-Wahltriumph
11. Apr. 2022Linksliberale Autoren äußern die Hoffnung, dass sich die Opposition nach ihrem äußerst enttäuschenden Abschneiden bei den Parlamentswahlen vom 3. April zusammenraufen kann. Regierungsnahe Kommentatoren wiederum freuen sich über die in ihren Augen richtige Wahlentscheidung der Bevölkerungsmehrheit.
In der Wochenzeitung Magyar Hang versucht Szabolcs Szerető die Wähler der Opposition zu trösten: „Dies ist keine Endstation.“ Er räumt allerdings ein, dass gemeinsames Handeln eine große Herausforderung für die heterogenen Kräfte der Opposition gewesen sei. Doch das Wahlsystem mit dem in den Wahlkreisen gültigen Mehrheitswahlrecht habe die Opposition in den Zusammenschluss gezwungen. Laut Szerető besaß die Führung des Bündnisses nur über eine unzureichende Qualität. Zudem habe es an klaren sozialpolitischen Zusagen sowie neuen Signalen in Reaktion auf den Ukraine-Krieg gefehlt. Die Regierung werde es nun jedoch mit großen Spannungen und Schwierigkeiten zu tun bekommen, so dass damit die Geschichte nicht zu ihrem Ende gekommen sei, betont Szabolcs Szerető.
Im Leitartikel von 168 Óra wird verzweifelt die Frage gestellt, warum die Opposition fürs Scheitern zu groß sei, obwohl sie sich als unfähig erwiesen habe. Der Autor wirft den oppositionellen Spitzenpolitikern vor, dass sie sich mit dem Gewinn von Parlamentsmandaten und somit einem komfortablen Monatsgehalt zufrieden geben würden. Aus diesem Grunde sei die heutige Opposition das erste Hindernis auf dem Weg zum Sturz des amtierenden Regimes. Diene ihre parlamentarische Präsenz nicht lediglich der Legitimation des Systems, das sie eigentlich stürzen sollte?, fragt der Leitartikler.
Auch Jelen-Chefredakteur Zoltán Lakner fragt sich und seine Leserschaft, ob gewählte Oppositionsabgeordnete aufgrund der erdrückenden Mehrheit der Regierungsparteien ohne jede Chance der Einflussnahme auf Gesetzgebungsprozesse überhaupt im Parlament Platzt nehmen sollten. Welche anderen Instrumente und Mittel stünden der Opposition zur Verfügung, um sich neu zu formieren und für die Gesellschaft wahrnehmbar zu werden, sollte sie dereinst die Nutzlosigkeit erkennen, an dieser „Scheindemokratie“ mitzuwirken, fragt der Autor.
In einem ansonsten in aufgebrachtem Ton verfassten Leitartikel argumentiert Magyar Narancs, dass ein Boykott des Parlaments für die Opposition keinen Sinn ergäbe. Die Volksvertretung sei eine wichtige Bühne, auf der sie öffentlich gegen die Regierung argumentieren könne. Die Opposition müsse weiterhin im öffentlichen Leben präsent sein und abwarten, bis sich die Gelegenheit biete, die Mehrheit der Bevölkerung für sich zu gewinnen, so der Rat der Redakteure des linksliberalen Wochenmagazins.
Ähnlich klingt Árpád W. Tóta. Der Kolumnist von Heti Világgazdaság fordert die Opposition auf, ihre 1,8 Millionen Wähler als wertvolle Grundlage für die Fortsetzung ihrer Arbeit anzusehen. Sicherlich habe die Regierung fast eine Million Anhänger mehr, aber der liberale Autor warnt seine Leserinnen und Leser davor, sie als ignorante Hinterwäldler zu verachten. Sie betrachteten Ministerpräsident Orbán einfach als das kleinere Übel. Die Aufgabe der Opposition bestehe nicht darin, sie zurückzuweisen, sondern sie für sich zu gewinnen, mahnt Tóta.
In einem Beitrag für Élet és Irodalom geißelt János Széky die Opposition: In der Frage des Ukraine-Krieges habe sie kleinmütig agiert. In Erwiderung auf die Position der Regierung, Ungarn solle sich aus dem Krieg heraushalten, hätte sie den „einzig moralischen Weg“ wählen und die Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine fordern sollen. Sie hätte die Wahlen in jedem Fall verloren, aber wenigstens hätte die Opposition jetzt erklären können, dass sie aufrichtig gewesen sei, wettert Széky.
Der Chefredakteur des regierungsnahen Wochenmagazins Demokrata, András Bencsik, fordert seine konservativen Mitstreiter zur Eroberung von Budapest auf, nachdem sie von der überwältigenden Mehrheit des restlichen Landes unterstützt worden seien. Die Wahlen, so erklärt er, hätten eine scharfe Zweiteilung Ungarns in Budapest einerseits und den ländlichen Regionen andererseits aufgezeigt. Die Bewohner der Hauptstadt verhielten sich, als seien sie eine Masse von Fremden in ihrem eigenen Land, grollt Bencsik und äußert die Ansicht, dass die meisten Budapester ihre Interessen in den Vordergrund stellen und ihre patriotischen Gefühle unterdrücken würden. Das jedoch, so hofft der Publizist, ließe sich ändern.
Dávid Kacsoh von Mandiner weist darauf hin, dass die Regierenden die Wahlen bereits zum vierten Mal in Folge mit einem erdrutschartigen Sieg für sich entschieden hätten. Dabei hätten sie dieses Mal mit unerwarteten Widrigkeiten zu kämpfen gehabt: Zunächst sei Ungarn, wie alle anderen Länder auch, von der Corona-Pandemie und dann von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine getroffen worden. Wenn es der Opposition trotz alledem nicht gelungen sei, zumindest ihre früheren Positionen zu halten, so stelle dies einen Beleg für deren schlechte Verfassung dar, notiert Kacsóh, räumt jedoch ein, dass das Land eine intellektuell und moralisch starke Opposition benötige.