Im Spiegel der Wochenpresse: Ukraine-Krieg, Sanktionen und die EU
11. Jul. 2022Die Kommentatoren vertreten stark divergierende Auffassungen darüber, wie Frieden in der Ukraine geschaffen werden könnte und wer im Hinblick auf die schmerzhaften Sanktionen gegen Russland recht habe und wer nicht.
Deutschland stehe ein harter Winter bevor, da das zum Heizen und als Grundstoff für die chemische Industrie benötigte Gasvolumen kleiner werden dürfte, sagt Gábor Lass in Demokrata voraus. Es sei geradezu tragikomisch, dass Kanada reparierte Turbinen zurückhalte, die eigentlich für den Volllastbetrieb der Gaspipeline North Stream unverzichtbar wären, aber auf der Russland-Sanktionsliste stünden. In einem anderen Artikel in derselben Wochenzeitung notiert Gábor Stier: Die drastischen Strafmaßnahmen hätten Russland zwar überrascht, der Westen jedoch sei nicht weniger verblüfft über die russische Standhaftigkeit gegenüber den Sanktionen. Auch die Europäische Union sei erstaunt, dass diese Sanktionen die Gemeinschaft härter getroffen hätten als Russland selbst.
In Heti Világgazdaság beklagt Árpád W. Tóta die Einsprüche Ungarns gegen EU-Initiativen, die von den übrigen Mitgliedstaaten unterstützt werden. (Ungarn hatte mit einem Veto gegen das sechste Sanktionspaket gedroht, falls es nicht weiterhin russisches Öl einführen dürfe. Mit Blick auf ein Verbot russischer Gasimporte hatte Budapest sogar fehlenden Verhandlungswillen signalisiert – Anm. d. Red.) Laut Tóta ist die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips unumgänglich, wenn die Union stark und effizient sein wolle. Das Problem bestehe darin, dass Ungarn ein Veto gegen eine solche Änderung der Verfahren einlegen könnte. Allerdings, so der liberale Autor, habe die EU allen Grund, Artikel 7 des Vertrags (von Lissabon) auszulösen und damit Ungarn das Stimmrecht zu entziehen.
Attila Kovács hingegen vermerkt auf Mandiner: Sollten sich die EU-internen Diskussionen weiterhin um Rechtsstaatlichkeit, Gender-Themen, die grüne Agenda und die Stigmatisierung von nicht mit dem Mainstream übereinstimmen Mitgliedsländern und politischen Kräften drehen, könne dies durchaus zu einer Legitimationskrise führen. In der Tat könnte der nächste Winter eine echte Herausforderung für die Bürger der Europäischen Union werden, die von ihren führenden Vertretern eine Beschäftigung mit ihren Alltagsproblemen erwarten würden, so Kovács.
Im Gegensatz dazu verurteilt 168 Óra in einem nicht gezeichneten Leitartikel entschieden die Haltung der ungarischen Regierung, die den Sanktionen skeptisch gegenüberstehe und auf einen sofortigen Frieden in der Ukraine dränge. In diesem speziellen Augenblick, so argumentiert der Autor des Wochenmagazins, käme ein sofortiger Frieden einem Sieg Putins gleich. Würde Ministerpräsident Viktor Orbán einen sofortigen Frieden fordern, sollten russische Truppen durch die Stadt Debrecen marschieren?, fragt 168 Óra rhetorisch.
Jelen-Chefredakteur Zoltán Lakner zeigt sich von der Tatsache niedergeschlagen, dass große Teile der Bevölkerung die Position der Regierung mittragen. Der Publizist zitiert eine kürzlich durchgeführte Umfrage und schreibt mit einer gewissen Bestürzung, dass 42 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, wonach „Russland die Ukraine als Reaktion auf einen sich vollziehenden Völkermord an den einheimischen ethnischen Russen angegriffen hat“. Mit 45 Prozent wiesen nur etwas mehr diese Meinung zurück. Diese Kriegsbegründung werde sogar von 40 Prozent der der Opposition zuneigenden Befragten geteilt, beklagt Lakner.
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