Wochenpresse zur Rede des Ministerpräsidenten in Siebenbürgen
1. Aug. 2022Die sechs oppositionellen Wochenzeitungen beziehungsweise -magazine verurteilen praktisch unisono die Rede Ministerpräsident Viktor Orbáns vom 23. Juli. Ein regierungsnahes Wochenblatt fasst sie lediglich zusammen, während ein Magazin der gleichen politischen Ausrichtung die Äußerungen ausdrücklich lobt.
Die traditionelle Rede des Ministerpräsidenten auf der jährlichen sogenannten „Sommeruniversität“ seiner Fidesz-Partei in Băile Tușnad (Siebenbürgen) wurde aufgrund der Verwendung des Begriffs „Rassenvermischung“ massiv kritisiert. Später räumte Orbán ein, „dass er gelegentlich eine Sprache verwendet, die missverstanden werden kann” (siehe BudaPost vom 26., 27., 28., 29. und 30. Juli). Als Reaktion auf dieses Eingeständnis erklärte seine langjährige Beraterin für soziale Eingliederung, die aus Protest zurückgetreten war, dass sie mit dieser Stellungnahme zufrieden sei.
In einem Leitartikel erinnert 168 Óra daran, dass der Ministerpräsident in den vergangenen Jahren stets die sich in Băile Tușnad ergebende Möglichkeit genutzt habe, um eine Vision für die Zukunft Ungarns und der Welt zu umreißen. Diesmal, so der Leitartikler, habe er einen großen Fehler begangen: Um seine Ablehnung der Perspektive einer multikulturellen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen, habe Orbán den Begriff Rassen erwähnt. Abschließend flüchtet das Wochenmagazin in den Sarkasmus. Der Regierungschef hätte seine kurze Bemerkung über sein Alter doch besser wie folgt ausformulieren sollen: „Ich bin dabei, meine politische Karriere an den Nagel zu hängen.“
Auch Árpád W. Tóta von Heti Világazdaság greift diese Bemerkung auf – allerdings mit einer deutlich lebendigeren Note. Er wünsche sich, dass der Ministerpräsident „seinen Abgang schneller vollzieht“. Der Kolumnist nennt Orbán einen Mann, „der sich in einen Trottel verwandelt hat und sich nicht benehmen kann“. Es würde ihn, Tóta, nicht weiter stören, wenn Ungarn ihn „loswerden könnte… Aber das kann es nicht”, fügt er hinzu.
Ähnlich klingt Zoltán Kovács. In Élet és Iroddalom legt der Chefredakteur der Wochenzeitung nahe, dass von „Rassenhygiene“ daherredende Führungspersönlichkeiten entweder als Verrückte enden oder die Welt in furchtbare Katastrophen stürzen würden. Gewiss, der Ministerpräsident persönlich sei kein Rassist, räumt Kovács ein, doch verurteilt er regierungsnahe Stimmen und ihre Versuche, die Äußerungen Orbán auszulegen.
In ihrem Leitartikel auf der ersten Seite beschreiben die Redakteure von Magyar Narancs den ungarischen Regierungschef einfach als durchgeknallten „Pseudo-Propheten“, der hundertprozentig von seinen halbgottartigen Kräften überzeugt sei. Seltsam, dass zweieinhalb Millionen Landsleute auf das hereinfallen, was das liberale Wochenmagazin als seine „Lügen und infantilen Dummheiten“ bezeichnet.
Attila Tibor Nagy geht auf die Bemerkung des Ministerpräsidenten ein, wonach die traditionelle Freundschaft Ungarns mit Polen so weit wie möglich aufrechterhalten werden müsse. (In jüngster Vergangenheit war es zu ernsthaften Meinungsverschiedenheiten zwischen Warschau und Budapest über den Krieg in der Ukraine gekommen – Anm. d. Red.) In der Wochenzeitung Magyar Hang äußert Nagy die Befürchtung, dass Ungarn in der Europäischen Union dereinst ohne Verbündete dastehen werde. Auch sei es bezeichnend, dass sich Orbán viel massiver über die Slowakei und die Tschechische Republik echauffiert habe, deren Führungen nicht nur ebenfalls eine kompromisslose Haltung gegenüber Russland einnähmen, sondern sich auch der Europäischen Kommission annähern würden. Alles in allem, so Nagy, habe der Krieg in der Ukraine Orbáns einstige strategische Annahme, Ungarn könne gleichzeitig fruchtbare Beziehungen zu den westlichen Mächten und zu Russland etablieren, hinfällig werden lassen.
Tamás Fóti bezeichnet es als höchst eigenartig, dass der Regierungschef seinen Außenminister nach Moskau schicke, um über zusätzliche Gaslieferungen zu verhandeln – und das zu einem Zeitpunkt, da die russische Regierung in der westlichen Welt als Paria angesehen werde. In Jelen interpretiert Fóti diesen Schritt als Beweis dafür, dass Viktor Orbán nicht davon ausgehe, die aus rechtsstaatlichen Erwägungen eingefrorenen EU-Hilfsgelder freizubekommen. Andernfalls hätte er seinen Außenminister nicht nach Moskau entsandt.
Mandiner widmet den Ereignissen in Băile Tușnad einen ausführlichen Bericht und veröffentlicht eine Zusammenfassung der Rede Orbáns, einschließlich seiner Äußerungen zum Thema Rassen. Auf einen diesbezüglichen Kommentar wird jedoch verzichtet.
Im Gegensatz dazu findet Demokrata-Chefredakteur András Bencsik lobende Worte für den Ministerpräsidenten: Er habe einen Weg aufgezeigt, wie Ungarn der wahrscheinlichen Rezession und der allgemeinen sich in der westlichen Welt abzeichnenden Krise entgehen könne. Dieser Weg führe über das Heraushalten aus dem Krieg (in der Ukraine). Auch gelte es, der Massenmigration fernzubleiben und bei den geplanten weltweiten Steuerregularien nicht mitzumachen.
Tags: Antisemitismus, Fidesz-Sommeruniversität, Rassismus, Viktor Orbán