Wochenpresse: Ungarn als Außenseiter der EU
30. Jan. 2023Linke Kommentatoren fragen sich, ob die Regierung möglicherweise einen Austritt aus der Europäischen Union vorbereite. Ein regierungsnaher Kolumnist wiederum prangert linke Abgeordnete des Europäischen Parlaments an, die Ungarn Korruption verwerfen, während gleichzeitig gegen Kollegen wegen der Annahme von Hunderten von Millionen Euro an Bestechungsgeldern ermittelt wird.
In seinem Leitartikel für Élet és Irodalom beschuldigt Zoltán Kovács Ministerpräsident Viktor Orbán, er habe den Huxit zumindest im Hinterkopf. Zur Untermauerung seiner These verweist der Publizist auf Propagandisten der Regierung, die das nationale Interesse an die erste Stelle setzen würden, anstatt den internationalen Erwartungen nachzukommen. Kovács zitiert den regierungsnahen Politologen und Aktivisten Tamás Fricz, der kürzlich in einem Interview mit Mandiner geäußert habe, Ungarn solle in der Europäischen Union bleiben – allerdings nur so lange, wie es möglich und sinnvoll sei.
Zum selben Thema äußern sich auf einer kompletten Seite von Magyar Hang sechs Autoren. Unter anderem konstatieren sie, dass die Popularität der Europäischen Union unter den Fidesz-Anhängern schwinde und nur noch knapp zwei Drittel von ihnen die Mitgliedschaft Ungarns in der Staatengruppe unterstützen. Insgesamt liege die Zustimmungsquote für die EU in der Gesamtbevölkerung immer noch bei über 70 Prozent, so die Autoren weiter. Besorgniserregend sei allerdings, dass die Ungarn der Europäischen Union pragmatischer gegenüberstünden als die Bürger anderer Mitgliedsländer und ihre Hauptgründe für die Befürwortung der ungarischen EU-Mitgliedschaft in Finanztransfers nach Ungarn und Arbeitsmöglichkeiten in Westeuropa lägen.
Noch weiter geht Magyar Narancs. Das linksliberale Wochenmagazin vermutet nämlich, dass Ministerpräsident Orbán Ungarn aus dem westlichen Bündnis – einschließlich der Nato – herausführen wolle. Das schlussfolgert das Redaktionsteam im allwöchentlichen Leitartikel auf der ersten Seite aufgrund eines neuen Gesetzes. (Es erlaubt höherrangige Militärangehörige, die älter als 45 Jahre sind und 25 Dienstjahre abgeleistet haben, mit einer „würdigen Pension“ in den Ruhestand zu versetzen. Damit besteht für sie die Möglichkeit, andere Tätigkeiten auszuüben, ohne auf diese Bezüge verzichten zu müssen – Anm. d. Red.) Magyar Narancs weist das Argument der Regierung zurück, wonach Führungspositionen der jüngeren Generation offen stehen sollten. Vielmehr wollten die Behörden die Nato-treuen Offiziere loswerden, da diese sich weigern könnten, „die katastrophale Politik eines zockenden Ministerpräsidenten“ zu unterstützen, so die Redakteure des Wochenmagazins.
Für Tamás Fóti ist es bezeichnend, dass der ungarische EU-Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung vom Europäischen Parlament kritisiert werde. Dessen Mehrheit, so der Kolumnist in Jelen, werfe Olivér Várhelyi vor, bei den vorbereitenden Gesprächen über den Beitritt der Balkanländer zur Europäischen Union Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu vernachlässigen. Mit der Ernennung eines neuen Generaldirektors an der Spitze von Várhelyis Büro hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Ansicht des liberalen Autors die Macht des ungarischen Kommissars massiv eingeschränkt.
András Németh von Heti Világgazdaság hingegen ist überzeugt, dass es sich beim von Várhelyi angestrebten beschleunigten und erleichterten EU-Beitritt Serbiens um ein aussichtsloses Unterfangen handele. Auch laufe das Mandat der EU-Kommission in 18 Monaten aus. Damit sei der Vorschlag des Europäischen Parlaments bezüglich einer Untersuchung der Politik des ungarischen Kommissars praktisch obsolet, notiert Németh.
In Mandiner bezeichnet Tamás Pindroch die gegen Ungarn erhobenen Vorwürfe der Korruption und der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit angesichts des Korruptionsskandals im Europäischen Parlament als lächerlich. Der leitende Analyst beim regierungsnahen Zentrum für Grundrechte hält es für empörend, dass die linken Europaabgeordneten – aktuell der Annahme von Hunderten Millionen Euro an Bestechungsgeldern verdächtig – noch vor wenigen Monaten die ungarische Regierung vehement wegen Korruption angegriffen und versucht hätten, die Finanztransfers der Union nach Ungarn zu kürzen.