Ukraine-Krieg: Orbán fordert Friedensgespräche und Waffenstillstand
6. Feb. 2023Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat mit Blick auf den Ukraine-Krieg Friedensgespräche und einen Waffenstillstand gefordert. Die Meinungen darüber in der Presse gehen weit auseinander.
Bei einem Rundtischgespräch mit einem Dutzend konservativer Auslandsjournalisten erörterte Ministerpräsident Orbán die Perspektiven des Krieges in der Ukraine. Den Berichten der Medienschaffenden zufolge erklärte Orbán, Putin könne sich eine Niederlage in der Ukraine nicht leisten, wolle er 2024 wiedergewählt werden. Sollte Putin die Macht verlieren, könnte ihm ein noch radikalerer Kriegstreiber folgen. Der ungarische Regierungschef sagte weiter, dass Russland die Präsenz der Nato in seiner unmittelbaren Nachbarschaft nicht dulden werde. Allerdings sei Moskau nicht in der Lage, die Ukraine zu besetzen oder ihre Regierung zu ändern. Alles, was sie tun könnten, sei, die Ukraine in ein „unregierbares Chaos“ zu stürzen, in ein „Niemandsland von der Art Afghanistans“, behauptete Orbán und fügte hinzu: Möglicherweise müsse die Nato bald entscheiden, ob sie auch Soldaten zur Verteidigung der Ukraine entsenden wolle. So unwahrscheinlich es auch klingen möge, es lasse sich nicht ausschließen, dass Russland irgendwann Atomwaffen einsetzen werde, warnte Orbán. Ukrainische Politiker kritisierten dessen Äußerungen scharf und interpretierten sie als einen Vergleich der Ukraine mit Afghanistan.
Gábor Bencsik hält den Ukraine-Krieg für einen europäischen Bürgerkrieg. Der Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins Demokrata behauptet, der Krieg werde um die Vorherrschaft unter den europäischen Staaten geführt. Allerdings macht Bencsik die USA für den Krieg verantwortlich und wirft ihnen vor, die Ukraine zu ihrem militärischen und wirtschaftlichen Hauptquartier in der Nähe der russischen Grenzen machen zu wollen. Der Krieg sei vorteilhaft für die Vereinigten Staaten, da er ihnen keinerlei Menschenleben koste, aber die amerikanische Rüstungsindustrie ankurbele. Der innereuropäische Kampf werde die globale Macht Europas schwächen, erwartet Bencsik. Mit Blick auf Ungarn pflichtet der Publizist der Regierung in Budapest bei: Das wichtigste Anliegen sollte darin bestehen, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, auch wenn Ungarn Mitglied der Nato und der EU sei und folglich keine andere Wahl habe, als deren Sanktionen gegen Russland mitzutragen.
Zsolt Jeszenszky geht von einer Unbesiegbarkeit Russlands aus. Der regierungsnahe Kolumnist der Tageszeitung Magyar Nemzet verurteilt die russische Aggression, fügt aber hinzu, dass sie durch die Ignoranz der Ukraine gegenüber den legitimen geopolitischen Interessen Russlands provoziert worden sei. Der Konflikt, so spekuliert Jeszenszky, sei daher das Ergebnis einer auf die Schwächung Russlands ausgerichteten Expansion der USA. Russland benutze die Ukraine als Stellvertreterin, um seine eigenen Ziele durchzusetzen, während Europa ohne Rücksicht auf seine eigenen Interessen mitlaufe. Ungarn und Europa hätten ein Interesse an einem sofortigen Waffenstillstand, wenn man die wirtschaftlichen Kosten des Krieges berücksichtige. Jeszenszky befürchtet außerdem, dass eine militärische Eskalation zu weiteren Verwüstungen und noch mehr Toten führen werde. Der Kommentator weist die Annahme zurück, der zufolge Russland wie Nazi-Deutschland besiegt werden könnte, da Russland über Atomwaffen verfüge. Je länger der Krieg dauere und je größer die Zerstörungen seien, desto abhängiger werde Europa von den USA werden, befürchtet Jeszenszky.
Árpád W. Tóta hält den Aufruf von Ministerpräsident Orbán zu einem Waffenstillstand und Friedensgesprächen für eine stillschweigende Billigung der militärischen Aggression des russischen Präsidenten Putin. Der liberale Publizist von Heti Világgazdaság ist der Ansicht, dass ein Waffenstillstand Russland vor einer Fortsetzung seiner Offensive Zeit für eine Neuformierung seiner Streitkräfte geben würde. Darüber hinaus würde er stillschweigend Russlands Gebietszuwächse anerkennen.
Laut Tóta müssen die Russen wie Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg zurückgeschlagen werden. Um einen Frieden zu erreichen, müsse Putin besiegt werden, glaubt Tóta, der im Folgenden dem ungarischen Ministerpräsidenten vorwirft, die militärischen Anstrengungen des Westens zur Befreiung der Ukraine nicht zu unterstützen, denn er befürchte, dass auch sein ideologischer Verbündeter Putin besiegt werden würde.
Ebenfalls in Heti Világgazdaság bezichtigt Márton Gergely den ungarischen Regierungschef, an der Seite des russischen Präsidenten Putin zu stehen, wenn dieser unterstelle, dass die russische Offensive nicht stoppen werde, solange keine sichere Pufferzone zwischen Russland und der Ukraine existiere. Der liberale Analyst weist darauf hin, dass eine solche Pufferzone nur gesichert werden könne, wenn die Ukraine die von russischen Truppen besetzten Gebiete aufgäbe. Allerdings ist Gergely zuversichtlich, dass die Waffen der Nato der Ukraine beim Sieg über Russland helfen dürften. Ungarn könne als Nato-Mitglied in diesem Krieg keineswegs neutral bleiben, auch wenn Ministerpräsident Orbán nicht mit einer Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen aus Nato- und EU-Ländern einverstanden sei, konstatiert Gergely abschließend.
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