Wochenpresse über Ungarns einsame Haltung zum Ukraine-Krieg
27. Mar. 2023Ein regierungsnaher Analyst hält es für bedenklich, dass sämtliche die Ukraine unterstützenden Staaten nicht begreifen: Der Krieg könne nur durch Kompromissbereitschaft seitens der involvierten Parteien beendet werden. Ein entschiedener Kritiker der Regierung notiert, dass die Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Krieges im Nachbarland die Konflikte Ungarns mit seinen Verbündeten verschärft haben.
Für Attila Demkó ist es verständlich, dass in der Ukraine derzeit kein Diskurs über Friedensgespräche möglich sei. Ein Land, das von einer fremden Macht angegriffen werde, habe das Recht, seine besetzten Gebiete zurückzuerobern, erklärt der Leiter des geopolitischen Workshops des Mathias-Corvinus-Kollegs, einer von der Regierung finanzierten Denkfabrik, in Mandiner. Allerdings irritiere ihn die in der EU und den USA vorherrschende Praxis, jeden als prorussisch zu bezeichnen, der eine Rückeroberung sämtlicher russisch besetzter Gebiete durch Kiew für sehr unwahrscheinlich halte. Als Grund für dieses Phänomen vermutet Demkó, dass Ideologien und Emotionen selbst auf den höchsten Ebenen der politischen Entscheidungsfindung eine zu große Rolle spielen würden. Außerdem weist er Vergleiche zwischen Putin und Hitler zurück: Der Nazi-Diktator habe nicht über Atomwaffen verfügt, die die ganze Welt hätten vernichten können, argumentiert der Autor.
In Magyar Hang räumt Szabolcs Szerető ein, dass die in der letzten Ausgabe seiner Wochenzeitung geäußerte Einschätzung, die Rede von Ministerpräsident Viktor Orbán am 15. März habe der Beginn einer Annäherung an den Westen markiert (siehe BudaPost vom 20. März), zu optimistisch gewesen sei. Zur Untermauerung seiner These verweist der Publizist auf die systematischen Vorbehalte der Regierung gegen verschiedene Gesten oder Maßnahmen der Europäischen Union und der Nato gegenüber der Ukraine. Das aktuellste Beispiel, nämlich den Versuch, die Einberufung der Nato-Ukraine-Kommission zu verhindern (siehe BudaPost vom 24. März), betrachtet Szerető als Widerstand gegen eine rein symbolische Geste, „die für Putin eine geringere Bedrohung darstellen würde als selbst der gegen ihn vom Internationalen Gerichtshof ausgestellte Haftbefehl“. Szerető vermutet daher, dass der ungarische Regierungschef aufgrund innenpolitischer Erwägungen nach Konfliktpotenzialen im Verhältnis zur Europäischen Union suche – ohne jedoch zu erklären, welche Beweggründe ihn dazu veranlassen würden.
Der Haftbefehl gegen Putin werde in absehbarer Zeit kaum eine spürbare Wirkung entfalten, glaubt auch Magyar Narancs. Dennoch hält es die Redaktion des liberalen Wochenmagazins für bedeutsam, dass das Gericht die Suche nach Kriegsverbrechern „an der Spitze“ und nicht nur unter den einfachen Vollstreckern aufgenommen habe. Zudem werde es für anständige Menschen in Zukunft schwieriger sein, Umgang mit Putin zu pflegen, der in dem dringenden Verdacht stehe, Zehntausende von Kindern aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit deportieren zu lassen. Die Journalistinnen und Journalisten von Magyar Narancs äußern in ihrem Leitartikel die Hoffnung, dass sich der Haftbefehl dadurch, dass er Putin noch weniger salonfähig mache, nicht zuletzt auch auf den Ausgang des Krieges auswirken werde.
In Magyar Demokrata beklagt Gábor Bencsik die „Verhärtung“ der Beziehungen zwischen Ungarn und Polen aufgrund der unterschiedlichen Haltungen zum Krieg in der Ukraine. Die Polen hätten sich auf ein „hochpolitisches Spiel eingelassen, bei dem wir ihnen nicht folgen können“, gibt der Chefredakteur des regierungsnahen Wochenmagazins zu Protokoll und fährt fort: Tschechien sowie die Slowakei schienen in Polens Fußstapfen zu treten, Deutschland lasse sich „von den Ereignissen mitreißen“, während Österreich gegenüber Ungarn einen „zunehmend belehrenden Ton“ anschlage. Allerdings könne Ungarn nicht ohne Freunde auskommen, räumt Bencsik ein und findet Trost in einer gewissen scheinbaren Verständigung mit der französischen Regierung sowie in freundlichen Gesten von „weit entfernten und zu Unrecht verschmähten Nationen“, die er allerdings nicht beim Namen nennt.
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