Orbán: Freundschaft zu den USA muss Divergenz zum Ukraine-Krieg aushalten
17. Apr. 2023Ein der Opposition nahestehender Publizist hält die Verschlechterung der amerikanisch-ungarischen Beziehungen für besorgniserregend, glaubt aber, dass keine der beiden Parteien die Feindseligkeiten weiter verstärken wolle. Ein regierungsnaher Kommentator sieht in dem Zwist eher einen Konflikt zwischen der amerikanischen Linken und Rechten als einen zwischen zwei Staaten.
In seinem üblichen alle 14 Tage ausgestrahlten Interview mit dem staatlichen Kossuth Rádió erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán am Freitagmorgen, die Vereinigten Staaten seien Ungarns wichtigster Freund und Verbündeter, obwohl sie unterschiedliche Meinungen über den Krieg in der Ukraine hätten. „Unsere Freundschaft muss diese Divergenzen aushalten können“, so Orbán wörtlich und fügte hinzu, dass der Ton in den bilateralen Beziehungen davon abhänge, ob die US-Regierung von den Demokraten oder den Republikanern geführt werde. Die seitens der US-Botschaft gesponserte Plakatkampagne zum Ukraine-Krieg bezeichnete der Ministerpräsident als „ungewöhnlich“ (siehe BudaPost vom 13. April).
In Magyar Hang beschreibt Szabolcs Szerető den Ton – angeschlagen von US-Botschafter David Pressman auf seiner Pressekonferenz vom vergangenen Mittwoch – als gemäßigt: Weder habe er den Sturm besänftigt noch den Konflikt eskaliert (siehe BudaPost vom 14. April). Was die Hintergründe des Konflikts betrifft, geht der Publizist davon aus, dass Ministerpräsident Orbán in Ermangelung nennenswerter innenpolitischer Kontrahenten nach schwergewichtigen internationalen Gegnern suche – und Washington scheine für diese Rolle geeignet zu sein.
Nicht, dass Szerető die US-Regierung über jeden Vorwurf erhaben sieht: Das Abhören von Telefongesprächen verbündeter Staatsoberhäupter sowie das rigorose Vorgehen bei der Durchsetzung amerikanischer Interessen könne durchaus kritisiert werden. Allerdings glaubt Szerető, dass in Sachen Ukraine die ungarische Regierung daneben liege. Folglich beschreibt er die Position Budapests als „eine falsche Pro-Friedens-Haltung“, die 2022 Wahlzwecken gedient, sich seitdem jedoch zu einem Hindernis in den Beziehungen Ungarns zu seinen Verbündeten entwickelt habe.
Ungarn unterhalte gute Kontakte zu Russland, die weit über das Niveau hinausgingen, das durch die energiepolitischen Zwänge – also die Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen – diktiert würden, kritisiert Szerető und bezeichnet es als merkwürdig, dass die Vertreterinnen und Vertreter aus dem Regierungslager Berichte nicht dementiert hätten, wonach Orbán die Regierung Biden in einer Rede vor Fidesz-Abgeordneten im Februar als „Gegner“ bezeichnet habe. Doch „das Imperium schlägt nicht zurück – vorerst“, warnt Szerető.
Im Gegensatz dazu ist Gergely Szilvay von Mandiner der Meinung, dass es sich beim Streit nicht um einen Konflikt zwischen Ungarn und den Vereinigten Staaten, sondern um einen Konflikt zwischen Amerikas Linken und Rechten handele. Er begründet seine Einschätzung unter anderem damit, dass Ungarn zu einem „sekundären diplomatischen Schlachtfeld“ des Ukraine-Krieges geworden sei, den der Kolumnist als Stellvertreterkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und Russland bezeichnet. Das erkläre auch, warum die US-Diplomatie Ungarn unter Druck halte.
Allerdings stuft auch Szilvay die Ankündigungen des US-Botschafters angesichts früherer Spekulationen über harsche Sanktionen gegen ungenannte prominente Persönlichkeiten Ungarns als überraschend milde ein. Zudem notiert er: Ungarn habe es zur Kenntnis genommen und sich aus der International Investment Bank zurückgezogen, nachdem diese von den USA sanktioniert worden sei.
Zur Frage, warum Washington von härteren Maßnahmen gegen Ungarn abgesehen habe, stellt Szilvay eine originelle Theorie auf: Das State Department könne nämlich nicht sicher sein, wie die nächstjährigen US-Präsidentschaftswahlen ausgehen. Die ungarische Regierung sei kein Gegner der Vereinigten Staaten, sondern werde von der demokratischen Regierung lediglich mit Misstrauen beäugt.
Der Fidesz verstehe sich ausgezeichnet mit dem ehemaligen Präsidenten Trump und Ron DeSantis, Gouverneur von Florida sowie ein weiterer potenzieller republikanischer Präsidentschaftskandidat, werde zuweilen als „amerikanischer Orbán” bezeichnet. Die Mitarbeiter des US-Außenministeriums, so Szilvay, müssten vorsichtig sein, wenn sie einem Verbündeten des potenziellen nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten entgegenträten.
Tags: Diplomatie, Ukraine-Krieg, Ungarisch-amerikanische Beziehungen