Thema der Wochenpresse: Ungarns außenpolitische Konflikte
22. May. 2023Linke sowie liberale Kommentatoren werfen Ministerpräsident Viktor Orbán vor, er provoziere Streitigkeiten mit den Verbündeten mutwillig. Regierungsnahe Kolumnisten dagegen erkennen in ihm einen Verteidiger nationaler Interessen gegen unzulässige Einmischungen.
In seinem wöchentlichen Leitartikel für Magyar Hang wirft Szabolcs Szerető der Regierung vor, das Land in eine Krise geführt zu haben und unfähig zu sein, „sich aus der Umarmung des russischen Bären“ zu befreien. Doch hätten weder die sich verschlechternden materiellen Umstände noch der immer enger werdende internationale Spielraum der Regierung Auswirkungen auf die politischen Kräfteverhältnisse im Lande: Das Kabinett könne nicht regieren, während die Opposition nicht imstande sei, eine Herausforderung darzustellen, meint der verantwortliche Chefredakteur der Wochenzeitung. Die Menschen schienen auf die sich verschlechternden materiellen Bedingungen mit Apathie zu reagieren, anstatt sich für ein aktives politische Handeln zu entscheiden. Jeder, der behaupte, den Schlüssel zur Lösung dieser Situation in der Tasche zu haben, sei ein Lügner, notiert Szerető.
Magyar Narancs wirft dem Ministerpräsidenten vor, sich immer deutlicher unhaltbaren Theorien hinzugeben. Die Redakteure des liberalen Wochenmagazins vertreten die Ansicht, dass Viktor Orbán weder in der Lage noch willens sei, die Probleme des Landes zu lösen. Folglich provoziere er immer neue Konflikte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch Orbáns Rede auf der jüngsten Budapester CPAC-Konferenz (siehe BudaPost vom 5. Mai) interpretieren sie in dem Sinne, als habe er die europäischen Werte als gefährlichen Virus bezeichnet. Zudem habe Orbán „die europäische Integration mit Hitlers Ambitionen verglichen“, was das Magazin als Beweis für „intellektuelle Degradierung“ bezeichnet. Die Leitartikler ergänzen: Inzwischen würden „ihm nur noch echte Faschisten Beifall klatschen“ – und auch das nur gegen viel Geld. „Die gebildete Welt hingegen spuckt nur auf ihn.“
In einer ähnlich polemischen Kolumne wirft Árpád W. Tóta Orbán vor, sich beim Krieg in der Ukraine an die Seite Russlands zu stellen. Der Ministerpräsident tue dies, weil er Russland als starken und aggressiven Staat fürchte, während er zugleich wisse, dass die zivilisierte Welt Ungarn nicht schaden werde, was auch immer das Land unternehmen sollte, notiert Tóta in Heti Világgazdaság. Infolgedessen werde die Ukraine gemeinsam mit Polen, Rumänien, der Slowakei, der Tschechischen Republik sowie den Vereinigten Staaten zu unserem Feind. Der Publizist hält es nicht weiter für erstaunlich, dass der ukrainische Präsident Selenskyj angeblich auf die Idee gekommen sei, die Ölpipeline „Druschba“ (Freundschaft) zu sprengen. Wenn er selbst Ukrainer wäre, hätte er die Pipeline bereits vermint. Aber als Ungar hoffe er, dass diese letzte Warnung Wirkung zeige. „Wir haben keine Freunde mehr“, beobachtet Tóta und schiebt die Warnung hinterher: „Das Eis ist dünn.“
In Mandiner räumt Attila Kovács ein, dass sich immer häufiger Konflikte mit Ungarns Verbündeten in der Europäischen Union ergäben, wofür der Autor aber den europäischen Institutionen – insbesondere dem Europäischen Parlament – die Schuld in die Schuhe schiebt. Das EP habe mehrere Entscheidungen getroffen, die zur Eskalation des Krieges in der Ukraine beigetragen hätten, darunter vermehrt Waffenlieferungen und massivere Sanktionen gegen Russland, die hierzulande eine Inflation ausgelöst hätten. Darüber hinaus, so Kovács in dem regierungsfreundlichen Wochenjournal weiter, stehe das Europäische Parlament im Mittelpunkt der „Gender-Propaganda“ der Union und habe eine Entschließung verabschiedet, der zufolge Männer Babys gebären könnten. Darüber hinaus sei das Europäische Parlament einer der vehementesten Befürworter von illegaler Zuwanderung und laxer Einwanderungspolitik. Mögen die nächstjährigen Europawahlen eine Volksvertretung hervorbringen, die eine Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten anstrebe und nicht eine, die ihnen ihr politisches Narrativ aufzwingen wolle, wünscht sich Kovács.
In Demokrata verurteilt András Bencsik diejenigen, die die jüngste Rede des Regierungschefs zur europäischen Integration falsch interpretieren würden. Orbán habe die derzeitige Form der Integration keineswegs mit der von Hitler erträumten verglichen, betont der Chefredakteur des Wochenmagazins. Vielmehr habe er erklärt, es müsse ein Gleichgewicht zwischen Integration und Autonomie gefunden werden, und mehrere Beispiele historischer Führer erwähnt, die ein gesamteuropäisches Reich hätten schaffen wollen – angefangen bei Karl dem Großen über Napoleon bis hin zu Hitler. Er habe davor gewarnt, deren Beispiel zu folgen, so Bencsik. Sollte das richtige Gleichgewicht in Europa nicht gefunden werden, dürfte das Resultat entweder ein Minenfeld internationaler Konflikte oder eine bürokratische, ihre Stärke missbrauchende Machtmaschine sein. Die Lösung, so schreibt Bencsik in seiner Schlussbemerkung, bestehe in der Liebe sowohl zum eigenen Land als auch zur weiteren Heimat – Europa.
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