Ungarns internationales Ansehen im Spiegel der Wochenpresse
8. May. 2023Oppositionsnahe Kommentatoren vertreten die Auffassung, dass Ungarn auf fatale Weise isoliert sei. Regierungsnahe Stimmen wiederum sind optimistisch, dass die ungarische Führung Verbündete unter den Konservativen im Westen habe.
In einem ausführlichen Interview mit der Wochenzeitung Jelen vertritt Zsuzsa Szelényi die Ansicht, dass Ungarn von einer Autokratie regiert werde. Zur Veranschaulichung von Thesen aus ihrem jüngst erschienenen Buch „Wie Viktor Orbán die Demokratie demontierte“ erklärt die vor 35 Jahren als Fidesz-Mitglied in die Politik eingestiegene heutige Direktorin des Democracy Institute der Central European University: Das türkische Regime sei „viel brutaler“ – und dennoch könne die Opposition die bevorstehenden Wahlen gewinnen, weil ihre Parteien stark seien. In Ungarn stelle der Aufbau einer politischen Alternative zur Regierung eine schwere intellektuelle und politische Herausforderung dar. Szelényi weist Behauptungen zurück, die Regierung wolle Ungarn aus der Europäischen Union oder der Nato herausführen. Ministerpräsident Orbán wolle diese Verbindungen nicht kappen. Er möchte lediglich, dass der Westen Ungarn so akzeptiere, wie er es geformt habe.
Nach Ansicht von Péter Heil ist die Regierung eher zum Teilverzicht auf Ungarn rechtmäßig zustehende EU-Gelder bereit, statt die von der Europäischen Kommission erwarteten Änderungen im Bereich Rechtsstaatlichkeit komplett umzusetzen. Die vom Parlament verabschiedeten Justizstrukturreformen könnten lediglich ein Drittel dieser Mittel freisetzen, schreibt der Berater der Demokratischen Koalition in Europafragen im liberalen Wochenmagazin Magyar Narancs. Das seien vier von 27 Forderungen, die die Europäische Kommission letztes Jahr aufgestellt habe. Die Uhr ticke, warnt Heil und ergänzt, dass Ungarn das einzige EU-Mitgliedsland sei, das noch keinen einzigen Eurocent derjenigen Transfers erhalten habe, die es theoretisch im Rahmen des ab 2021 geltenden siebenjährigen EU-Haushalts erhalten sollte.
Die Regierung wolle so wenig wie möglich von den seitens der Europäischen Union geforderten Reformen umsetzen, ist Zoltán Kovács überzeugt. Der Chefredakteur von Élet és Irodalom erinnert daran, dass Tibor Navracsics, der für die Gespräche mit Brüssel zuständige Minister, im August letzten Jahres zuversichtlich gewesen sei, dass alle Bedenken der Europäischen Kommission bald ausgeräumt werden würden. (Seinerzeit hatte die Regierung eine Liste mit von ihr geplanten Reformen nach Brüssel geschickt – Anm. d. Red.) Nunmehr, über sieben Monate später, seien die meisten dieser Bedenken immer noch da, weil die Regierung versuche, nur mit Teilreformen oder rein formalen Änderungen davonzukommen. Diese würden ihr System unangetastet lassen, notiert Kovács. Angesichts dieser Vorgehensweise wirft der Publizist der Regierung „politische Trickserei“ vor.
In seinem Mandiner-Leitartikel weist Mátyás Kohán den Vorwurf zurück, die Regierung agiere wie eine zwischen Ost und West pendelnde Fähre. In der Realität existiere in Ungarn ein 30 Jahre alter Konsens, dem zufolge „wir eine westliche Nation sind“. Ministerpräsident Orbán werde zu Unrecht vorgeworfen, ein Ausreißer in der Europäischen Union zu sein. Tatsächlich haben an der CPAC-Tagung in Budapest in der vergangenen Woche (siehe BudaPost vom 6. Mai) die ehemaligen Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik sowie Sloweniens teilgenommen. Zudem gebe es in der Union zahlreiche Regierungen, die die ungarische Position in vielen Fragen teilen würden, darunter die von Polen und Italien. Tatsächlich seien die Oppositionsparteien in Tschechien, Slowenien und Estland dem westlichen Christentum, Recht und Ordnung, der Sicherheit und der europäischen Zivilisation gegenüber vielleicht noch mehr verpflichtet als die heute im Westen führenden Kräfte. Allerdings räumt Kohán ein, dass Ungarn mit seiner Außenpolitik oft auf sich allein gestellt sei und man sie gegen einen „beispiellosen freundlichen Gegenwind“ umzusetzen habe.
In einem Interview mit Demokrata gibt der Hauptorganisator des CPAC-Treffens von letzter Woche, Miklós Szántó, zu Protokoll: Ungarn sei bei weitem nicht allein in der Welt und arbeite tatsächlich an der Umsetzung dessen, was er „den Alptraum der Liberalen“ nennt: einen internationalen Block national orientierter Kräfte. In diesem Prozess sei Ungarn der Motor, der konservative Gruppen in verschiedenen Ländern in Richtung dieser Einheit bewege. „Ungeachtet einer Fake-News-Kampagne sind die letzten 13 Jahre Ungarns eine Erfolgsgeschichte der Rechten, was immer mehr Menschen auch zu erkennen beginnen“, behauptet Szántó.
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