Ukraine-Krieg im Spiegel der Wochenpresse
19. Jun. 2023Oppositionsnahe und regierungsfreundliche Kommentatoren bewerten die jüngsten Entwicklungen des Krieges im Nachbarland äußerst unterschiedlich.
Das liberale Wochenblatt Élet és Irodalom widmet dem Fall von elf transkarpatischen Kriegsgefangenen, die von Russland freigelassen und auf Ersuchen der Russischen Orthodoxen Kirche nach Ungarn überstellt worden waren, drei separate Kolumnen (zu der Angelegenheit siehe Budapost vom 17. Juni). In seinem Leitartikel auf der Titelseite bezeichnet István Váncsa die Überstellung der ungarisch-stämmigen ehemaligen Kriegsgefangenen als eine „in krimineller Absprache mit den Russen gegen die Ukraine gerichtete Provokation“. Die Folgen seien unabsehbar und Ungarn werde dafür einen hohen Preis zahlen, sagt der Leitartikler voraus. In der gleichen Ausgabe von Élet és Irodalom vertritt der Schriftsteller Rudolf Ungváry die Ansicht, dass Ungarn, falls es die Ukraine nicht über die Übernahme der ehemaligen Kriegsgefangenen informiert haben sollte, von einem Sieg Russlands ausgehe. Er versteigt sich sogar zu dem Verdacht, die ungarische Regierung hoffe auf einen Teil der Beute des russischen Siegers über die Ukraine. Der ehemalige liberale Abgeordnete Tamás Bauer wiederum beschuldigt die ungarische Regierung, sie kooperiere mit Russland, um die Ukraine zu demütigen. Dessen ungeachtet begrüßt Bauer die Freilassung der elf Soldaten aus der Gefangenschaft.
In der Wochenzeitung Magyar Hang vermutet Róbert Puzsér, dass der Kriegsgefangenen-Deal sowie die Ruhmes- und Ehrenmedaille, die Ministerpräsident Viktor Orbán vom Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche Kirill erhalten hatte, Ausdruck der Dankbarkeit des Patriarchen für ein Veto Orbans seien. Dieses Veto, so erinnert Puzsér, habe verhindert, dass Kirill auf die europäische Sanktionsliste gegen prominente, den Krieg befürwortende Persönlichkeiten in Russland gesetzt wurde.
In Heti Világgazdaság äußert sich Árpád W. Tóta optimistisch, dass die Ukrainer letztendlich ihr ganzes Land von der russischen Besatzung befreien werden. Dabei dürfte Ungarn aufgrund der „pro-russischen Haltung“ seiner Regierung nicht zu den Feierlichkeiten aus Anlass des ukrainischen Siegens eingeladen werden, glaubt Tóta. Er ist sich sicher, dass Russland den Krieg auf lange Sicht nicht gewinnen könne. Das Land sei gut im Töten von Zivilpersonen und Sprengen von Staudämmen, aber das werde es nicht in die Lage versetzen, die Ukraine zu besiegen.
István M. Szabó weist Befürchtungen zurück, denen zufolge nach der Zerstörung des Staudamms des Wasserkraftwerks Nowa Kachowka das AKW Saporischschja ohne Kühlwasser dastehen könnte. Der eigene Stausee biete genügend Wasser für die nächsten Monate, beschwichtigt der Autor in Magyar Narancs. Allerdings macht er darauf aufmerksam, dass seit der Übernahme des riesigen Kernkraftwerks durch die Russen das Sicherheitsniveau in der Anlage auf ein gefährliches Niveau gesunken sei. In dem Atomkraftwerk gebe es mehr Soldaten als Arbeiter, notiert Szabó.
Der Staudamm Nowa Kachowka sei von der ukrainischen Seite zerstört worden, vermutet Gábor Stier. Zwar habe er keine Beweise für seine These und die durch die Zerstörung des Staudamms verursachte Überschwemmung helfe kurzfristig den russischen Truppen dabei, der bereits gestarteten ukrainischen Offensive zu widerstehen. Dennoch, so argumentiert Stier im Wochenmagazin Demokrata, hätten die Russen die weiten Gebiete in der Südukraine tatsächlich überfluten wollen, hätten sie einfach die Schleusentore öffnen können, anstatt das Kraftwerk zu zerstören.
In einer etwas weiter gefassten Analyse des Krieges interpretiert András Lánczi den Konflikt als Zusammenstoß zwischen den Vereinigten Staaten und Russland und stellt ihn in den Kontext der Weigerung Washingtons zu akzeptieren, dass Russland und China stärker würden. In einem Interview mit Mandiner spricht der Philosoph vom Krieg als eine „innere Angelegenheit zweier brüderlicher Nationen“, die durch das Bestreben Amerikas, seinen Einfluss in der Ukraine auszudehnen, erschwert werde. Die Ukraine sei das „Testlabor“ der Vereinigten Staaten, schreibt Lánczi und lehnt die Vorstellung ab, alle Staaten sollten sich im Zusammenhang mit dem Krieg entweder auf die Seite des Westens oder auf die des Ostens stellen. Dies wäre der sicherste Weg zu einem Weltkrieg, warnt Láczi. Stattdessen seien alle Nationen gut beraten, für sich selbst zu entscheiden, was ihrer nationalen Sicherheit am besten dienen würde.
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