Wochenpresse zum Tauziehen der Regierung mit der EU in Sachen Ukraine
18. Dec. 2023Die Wochenzeitungen und -magazine waren bereits vor dem EU-Gipfel in Druck gegangen, auf dem sich Ungarn letztendlich nicht gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sperrte. Dafür jedoch legte Budapest ein Veto gegen das Vorhaben ein, der Ukraine in den nächsten vier Jahren 50 Milliarden Euro an Finanzhilfe zukommen zu lassen. Kommentatorinnen und Kommentatoren äußern sich infolgedessen recht allgemein zur Haltung Ungarns gegenüber der EU-Erweiterung und der Ukraine.
In seinem üblichen Leitartikel für Magyar Hang bezeichnet Szabolcs Szerető es als riskant, dass sich Ungarn in wichtigen politischen Fragen wie den EU-Beitritt der Ukraine regelmäßig mit praktisch allen anderen Mitgliedstaaten anlege. Ungarns Ministerpräsident gelte heutzutage als ein die Einheit des Blocks störender Brandstifter – zuweilen gar als Repräsentant russischer Interessen.
Mit seinem Widerstand gegen engere Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine laufe der Ministerpräsident Amok, lautet der Vorwurf von Ilona Jakus. Im Wochenmagazin Heti Világgazdaság äußert sie zudem die Befürchtung, dass Orbán der Selenskyj-Führung einen empfindlichen Schlag versetzen könnte, sollte er sich gegen finanzielle und militärische Hilfe für die Ukraine aussprechen. Dies umso mehr, da nach Einschätzung der Autorin das Schicksal des Krieges in der Ukraine auf politischer Ebene entschieden werde, nämlich durch den Ausgang der Präsidentschaftswahlen sowohl in der Ukraine als auch in Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika.
In Élet és Irodalom weist János Széky zwei Einwände zurück, die die Regierung gegen die Unterstützung der Ukraine und deren Integration in die Europäische Union vorgebracht hat. So geht er nicht davon aus, dass das Schicksal der ungarischen Minderheit in der Ukraine oder die dort grassierende Korruption die wahren Gründe für die offizielle ungarische Haltung seien. Vielmehr vermutet Széky den entscheidenden Grund in der Rolle Ungarns als trojanisches Pferd des Kremls in Europa.
In einer Analyse des Wochenblatts Jelen – verfasst wenige Tage vor dem Brüsseler Gipfel – prognostiziert Autor Zoltán Lakner, dass Ministerpräsident Orbán einen Kompromiss finden werde. So dürfte er die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen strikt ablehnen, gleichzeitig jedoch die 50-Milliarden-Euro-Hilfe für die Ukraine im Gegenzug für die Freigabe von bisher eingefrorenen und Ungarn zustehenden zehn Milliarden Euro absegnen. (Tatsächlich ist auf dem Gipfel genau das Gegenteil passiert – siehe BudaPost vom 16. Dezember.)
Ministerpräsident Orbán tue mit seinem Widerstand gegen eine Annäherung von Ukraine und Europäischer Union sowohl den westlichen Mächten als auch Russland, das sich der Integration der Ukraine in den Westen widersetze, einen Gefallen, heißt es im Leitartikel von Magyar Narancs. Trotz aller Lippenbekenntnisse für die Ukraine seien die führenden Mächte des Westens – allen voran Deutschland – alles andere als begeistert von der Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union. Schließlich wären sie es, die die anfallenden hohen Kosten zu tragen hätten, argumentieren die Leitartikler des linksliberalen Wochenmagazins.
Auf der publizistischen Gegenseite bezweifelt Mariann Őry in ihrer Demokrata-Kolumne ebenfalls, dass sämtliche EU-Mitgliedsländer die Ukraine so gerne wie offiziell behauptet bei sich aufnehmen würden. Der Beginn von Beitrittsverhandlungen sei eher eine politische Geste, erklärt die Kolumnistin und orakelt, dass, sobald die Mitgliedschaft der Ukraine tatsächlich auf die Tagesordnung gesetzt werde, mit Sicherheit europäische Politiker auftauchen dürften, um den Prozess zu blockieren.
In seiner regelmäßigen Kolumne für das Magazin Mandiner schreibt Tibor Navracsics, es sei inkonsequent, dass die Europäische Union den Beitritt der Ukraine für etwas erachte, das in naher Zukunft erreicht werden solle. Dies erscheine umso merkwürdiger, als eine weitere Vergrößerung der Union in den letzten zehn Jahren in Brüssel praktisch ein Tabu gewesen sei. Serbien zum Beispiel warte seit fast 14 Jahren auf eine positive Antwort seitens der EU, so der jüngst ernannte Minister für öffentliche Verwaltung und regionale Entwicklung, der für die Gespräche mit der Europäischen Kommission über die Freigabe von für Ungarn bestimmten, aber wegen Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit eingefrorenen Geldern zuständig ist. Seiner Ansicht nach ist es ziemlich fragwürdig, wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt, dass die Ukraine 90 Prozent der für die Erfüllung der Beitrittsbedingungen notwendigen Reformen umgesetzt habe. Auch warnt der Minister davor, dass nicht jeder in Europa von einer so großen Europäischen Union träume, wie sie von der Leyen vorschwebe. So hätten sich beispielsweise in einem Referendum vor sieben Jahren 61 Prozent der niederländischen Wähler sogar gegen ein Freihandelsabkommen mit der Ukraine ausgesprochen, erinnert Navracsics.