Wochenpresse zu den Lehren des Europa-Wahlkampfes
10. Jun. 2024In ihren letzten Kommentaren vor den Kommunal- und Europawahlen vom Sonntag haben die Autoren versucht, die Veränderungen in der innenpolitischen Landschaft sowie in den Beziehungen zwischen Ungarn und der Europäischen Union nachzuvollziehen.
In Heti Világgazdaság schreibt Árpád W. Tóta, dass am Ende des Wahlkampfes nur noch zwei große Kräfte auf der Oppositionsseite übrig geblieben seien: die TISZA-Partei von Péter Magyar sowie der von der Demokratischen Koalition angeführte Linksblock. Das Problem von TISZA bestehe darin, dass niemand viel über die Kandidaten Péter Magyars oder den politischen Kurs seiner neuen Partei wisse – abgesehen von der Tatsache, dass sie keine linke Partei sein wolle. Denjenigen, die eine linke Kraft wünschten, stehe nur das von der DK dominierte Bündnis zur Wahl, das jedoch, wie Tóta schreibt, „zu unseren Lebzeiten“ keine ernsthafte Alternative zur Regierung sein werde.
András Bencsik dagegen sieht im neuen Star der Opposition, Péter Magyar, ein Erbe des Kommunistenführers Béla Kun des Jahres 1919, der bekanntlich ebenfalls von LKW-Ladeflächen zu seinen Anhängern gesprochen habe. In Demokrata wirft Bencsik Magyar vor, er überziehe Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Regierung mit üblen Drohungen. Magyar verhalte sich wie ein in die Enge getriebenes Tier, notiert Bencsik, wisse er doch, dass die Opposition zum Scheitern verurteilt sei.
In Élet és Irodalom wettert János Széky gegen die Oppositionsführer, die bei der Fernsehdebatte mit allen elf Spitzenkandidaten der Europawahl das von der staatlichen Medienanstalt entworfene Spiel mitgespielt hätten. Seiner Meinung nach hätten sie sich nicht an die von den Veranstaltern vorgegebenen Themen halten dürfen, die er für skrupellose Propagandisten der Regierung hält. Keiner von ihnen, so beklagt Széky, habe sich dazu durchgerungen, über die Demokratie als solche zu sprechen, einschließlich freier und fairer Wahlen und der Gewaltenteilung. Das bedeutet in den Augen Tótas, dass die Oppositionspolitiker nicht übermäßig an der Demokratie interessiert seien. Folglich werde es in Ungarn keinerlei Demokratie geben, schlussfolgert er.
Péter Cseh beschreibt den Wahlkampf des Fidesz als äußerst wirkungsvoll, da er der Regierungspartei geholfen habe, sechs Prozent der seit dem Pädophilen-Begnadigungsskandal Anfang des Jahres verlorenen Wählerschaft zurückzugewinnen. Der zur Unterstützung der Regierenden organisierte Friedensmarsch habe ihr in den letzten Tagen des Wahlkampfes einen besonderen Auftrieb verliehen, notiert der Autor in Hetek.
In Magyar Hang vertritt Szabolcs Szerető die Auffassung, dass Regierung und Opposition durch eine „tatsächliche zivilisatorische Bruchstelle“ voneinander getrennt seien. Die Regierenden beschuldigten die Opposition, sie seien bezahlte Marionetten ausländischer Mächte, nämlich Ungarns Verbündeter in Nato und Europäischer Union. Gleichzeitig lehne die Regierung „die westliche Wertegemeinschaft ab“ und versuche, sich bei östlichen Autokraten anzubiedern, darunter auch beim russischen Präsidenten Putin, der den Krieg in der Ukraine vom Zaun gebrochen habe.
Péter Heil kritisiert die Europäische Kommission, weil sie einen Teil der EU-Transfers an Ungarn freigegeben habe, die ursprünglich aus Gründen mangelnder Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt worden waren. Der europapolitische Experte der Demokratischen Koalition glaubt, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Entscheidung in der Hoffnung getroffen habe, von Ministerpräsident Orbán im Kampf um ihre Wiederwahl unterstützt zu werden. Dabei, so sagt Heil in Magyar Narancs voraus, handele es sich um eine vergebliche Hoffnung.
In einem Jelen-Artikel weist Gyula Krajczár das Argument der Regierung zurück, indem sie sich mit den führenden Politikern Europas anlege, verteidige sie die Souveränität Ungarns. Tatsächlich könne Ungarns Souveränität nur gewährleistet werden, wenn Europa stark sei – und es könne nur stark sein, wenn es geeint sei. In der heutigen multipolaren Welt, so Krajczár, werde ein uneiniges Europa einfach in der Bedeutungslosigkeit versinken, und seine Staaten würden den unvorhersehbaren Veränderungen der Weltpolitik schutzlos ausgeliefert sein.
Der politische Analyst Márton Ugrósdy warnt in Mandiner vor der Aussicht auf ein Europa, in dem sich die Einwohner in einer gesichtslosen Masse auflösen. Stattdessen, so der stellvertretende Staatssekretär im Büro des Ministerpräsidenten, sollten sie ihre Vielfalt und das nationale Erbe bewahren, das jede europäische Nation besonders und einzigartig mache. Er räumt ein, dass diese zweite Option die schwierigere sei. Doch hält er es für angebracht, dass die Europäer die tausendjährigen jüdisch-christlichen Wurzeln ihres Kontinents bewahren und stolz auf ihre Geschichte seien. Er appelliert an seine Landsleute, zuerst Ungarn und dann Europäer zu bleiben.
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