Wochenpresse zum Standort Ungarns in der Welt von heute
3. Jun. 2024Linke und liberale Autoren werfen der Regierung vor, ihren westlichen Verbündeten den Rücken zuzuwenden. Regierungsfreundliche Kommentatoren vertreten hingen die Auffassung, dass sich die ungarische Führung lediglich verzweifelt um die Erhaltung des Friedens auf dem Kontinent bemühe.
In der Wochenzeitung Élet és Irodalom äußert der altgediente liberale Wirtschaftswissenschaftler Lajos Bokros den Verdacht, dass die westlichen Verbündeten keine sensiblen Informationen mehr mit Ungarn austauschen würden. Der Grund: Ungarn habe sich zu einer fünften Kolonne im Dienste Russlands entwickelt. Während der russische Bär und der chinesische Drache die Ungarn vertretende „fette Maus“ ausbeuten würden, werde Ungarn von den westlichen Mächten allmählich aus dem Bündnis der Demokratien ausgeschlossen, wettert Bokros.
In ganz ähnlicher Weise echauffiert sich Magyar Narancs über den Beschluss der Regierung, gegen eine Resolution der UN-Generalversammlung zu stimmen, die den 11. Juli zum Gedenktag an den Völkermord von Srebrenica erklärt hatte. In ihrem Leitartikel weist die liberale Wochenzeitung die Behauptung zurück, die Resolution stelle die gesamte serbische Bevölkerung als Kriegsverbrecher hin. In dem betreffenden Kapitel der Resolution würden die Serben nicht einmal erwähnt, so die Leitartikler. Die Regierung lehne die UN-Resolution ab, weil sich Russland ihr widersetze sowie die ungarische Regierung freundschaftliche Beziehungen zu Milorad Dodik, dem Präsidenten der bosnischen Republika Srpska, unterhalte. In Bosnien werde ein Negativ-Mahnmal mit den Namen derjenigen Länder errichtet, die sich der Resolution widersetzt hätten. Dies, so Magyar Narancs, werde Ungarn einen bleibenden Schandfleck verpassen.
István Dévényi von Magyar Hang hält die Behauptung der Regierenden für absurd, Brüssel wolle die Wehrpflicht in der gesamten Europäischen Union einführen und folglich ungarische Wehrpflichtige in den Kampf gegen Russland in die Ukraine entsenden. Der plötzliche Erfolg von Peter Magyar habe die Regierungsseite dazu veranlasst, ihre früheren Drohungen bezüglich eines sich anbahnenden Atomkriegs als unzureichend zu empfinden. Folglich verspürten ihre Propagandisten den Drang, den Einsatz mit Hilfe der Behauptung zu erhöhen, das Leben junger Ungarn sei in Gefahr. In der Realität sei der EVP-Vorsitzende Manfred Weber die einzige europäische Persönlichkeit gewesen, die sich für die Einführung der Wehrpflicht ausgesprochen habe – und zwar nur in Deutschland. Dabei habe er den jungen Deutschen sogar noch die Wahl zwischen Zivil- und Wehrdienst anheimgestellt.
In seinem Demokrata-Leitartikel beschreibt András Bencsik die Haltung der ungarischen Regierung zur Ukraine als einen Versuch, nicht in einen neuerlichen Krieg verwickelt zu werden, nachdem Ungarn den tragischen Fehler einer Beteiligung an beiden Weltkriegen begangen habe. Deshalb dränge die Regierung von Ministerpräsident Orbán auf einen Waffenstillstand und Friedensgespräche zwischen den Kriegsparteien, so die Sichtweise Bencsiks. Dies scheine nicht einfach zu sein, wie die versuchte Ermordung des sich für den Frieden engagierenden slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico belege. Die ungarische Regierung werde jedoch durch das Friedensengagement weiter Teile der ungarischen Bevölkerung unterstützt, schreibt Bencsik. (Die Wochenzeitungen waren bereits am Samstag in den Auslagen, bevor in Budapest der sogenannte „Friedensmarsch“ zur Unterstützung der Regierung stattgefunden hatte.)
In einem Interview mit Hetek beschuldigt Balázs Orbán nicht näher bezeichnete Kräfte, die eine Konfrontation zwischen der Nato und Russland für unvermeidlich hielten, gegen die politische Stabilität friedliebender Länder aufzutreten. Und so sei es ihnen gelungen, die Polarisierung in der Slowakei zu verschärfen, was zu einem Attentatsversuch auf den dortigen Ministerpräsidenten geführt habe. Diese Kräfte, so fährt der politische Direktor im Büro des Ministerpräsidenten fort, würden auch in Ungarn versuchen, neue Kräfte „in Stellung zu bringen“. In diesem Sinne brächten sie Themen zur Sprache, die geeignet schienen, die Legitimität der Regierung zu untergraben. Bei den bevorstehenden Europawahlen werde es nun darum gehen, ob eine für den Frieden kämpfende europäische Regierung ins Wanken gebracht werden könne.
Die Nato – obwohl lediglich ein Verteidigungsbündnis – sei nur einen Schritt davon entfernt, in der Ukraine offensiv aufzutreten, und zwar mit dem Risiko, einen dritten Weltkrieg zu entfachen, warnt Dániel Kacsoh in einem Artikel des Magazins Mandiner. Nach Waffenlieferungen würden nun auch Initiativen wie die Entsendung von Soldaten sowie die Einführung der Wehrpflicht in Europa in Erwägung gezogen. Und wer darauf aufmerksam mache, dass in der Ukraine Hunderttausende von Menschen stürben, werde als Freund Wladimir Putins gebrandmarkt, beklagt Kacsoh.
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