EU-Personalkarussell im Fokus der Wochenpresse
22. Jul. 2019Ein regierungsfreundlicher Analyst beurteilt die Hintergründe der Entscheidung linksliberaler Europaparlamentarier aus Ungarn, sämtliche Fidesz-Kandidaten für Posten im hohen Haus in Straßburg abzulehnen. Ein liberales Wochenblatt kritisiert Grüne und Sozialisten dafür, die Wahl Ursula von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin nicht unterstützt zu haben. Ein evangelischen Kreisen zuzurechnender Kolumnist wiederum interpretiert die Wahl der CDU-Politikerin als Ausdruck des deutschen Dranges nach Dominanz innerhalb der EU.
Sayfo Omar vom regierungsnahen Wochenjournal Demokrata betont, dass die Oppositionsparteien in ein neues Zeitalter eingetreten seien, als sie die Wahl von drei Fidesz-Kandidaten für verschiedene Posten im Europaparlament verhinderten. Früher habe die ungarische Opposition niemals „gegen Ungarn gerichtete Angriffe der Union“ aktiv unterstützt. Gewiss, die ungarischen Sozialisten hätten dem Tavares-Bericht von 2013 ihren Segen gegeben und drei ihrer Europaabgeordneten fünf Jahre später tatsächlich für den Ungarn kritischen Sargentini-Bericht gestimmt. Allerdings habe die Opposition in allen diesen Angelegenheiten im Großen und Ganzen nur eine passive Rolle gespielt. Die jüngsten Angriffe auf die Fidesz-Kandidaten würden aber belegen, dass die Opposition Brüssel als Schauplatz innenpolitischer Schlachten betrachte. Laut Omar ist dies im Vergleich zu spanischen oder polnischen Parteien eine eigenartige Praxis, hätten doch diese Parteien trotz aller scharfen Gegensätze daheim in der Europäischen Union stets Kandidaten des jeweils anderen Lagers unterstützt. Die Regierenden müssten sich nun darauf einstellen, dass ihnen in Brüssel die eigenen Landsleute die Stirn bieten würden, notiert Omar abschließend.
Sozialisten und Grüne hätten im Europaparlament die Kandidatin für den Posten des neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen sollen, befinden die Autoren des Wochenleitartikels von Magyar Narancs. Aufgrund ihrer Weigerung, dies zu tun, verdanke die neue EU-Kommissionspräsidentin ihre Wahl den Stimmen regierender Kräfte aus Polen und Ungarn, womit sie sich als in ihrer Schuld stehend betrachten dürfe. Die Autoren sind nicht vollkommen davon überzeugt, dass einige der in Rede stehenden ungarischen und polnischen Europarlamentarier nicht doch gegen von der Leyen gestimmt hätten. Sicher sind sie sich jedoch, dass die Mehrzahl der sozialistischen Abgeordneten ihr ihre Unterstützung verweigert habe. Von der Leyens vor der Abstimmung im Plenum gehaltene programmatische Rede sei für eine Christdemokratin ungewöhnlich linkslastig ausgefallen und Vertreter des linken Spektrums hätten allen Grund zu der Annahme gehabt, dass sie lediglich ein Spiel spiele, um deren Stimmen zu erheischen. Wenn aber nur ein Zehntel ihres Programms umgesetzt würde, würde dies „die Regimes von Orbán und Kaczynski erschüttern“, glauben die Leitartikler. „Doch wie kann von der Leyen Europa vor Orbán schützen, wenn der Rückhalt des ungarischen Ministerpräsidenten für ihren knappen Sieg unentbehrlich gewesen ist?“ Abschließend geben die Autoren von Magyar Narancs ihren Lesern noch zwei weitere Fragen mit auf den Weg: „Warum haben die Sozialisten das nicht durchschauen können?“ Und: „Was hätte wichtiger als das sein können?“
In Hetek interpretiert Máté Kulifay die Wahl Ursula von der Leyens für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin als typisches Beispiel für die „Taktik des Ausblutens“, wie sie üblicherweise von Angela Merkel praktiziert werde. Die Kanzlerin genieße es, politische Entscheidungen hinauszuzögern, bis sämtliche Beteiligte erschöpft und alle rivalisierenden Kandidaten abgetreten seien mit dem Ergebnis, dass ihr geheimes Drehbuch verwirklicht werden könne. Kulifay interpretiert Ursula von der Leyens Karriere als Beweis dafür, dass sie mit Großunternehmen auf gutem Fuße stehe. Und da die ungarische Regierung exzellente Beziehungen zu deutschen Investoren unterhalte, könne ihre Wahl als Garantie dafür angesehen werden, dass die ungarische Führungsriege weder in Fragen der Rechtsstaatlichkeit noch in anderen Angelegenheiten große Probleme mit der EU-Kommission bekommen werde. Andererseits repräsentiere von der Leyen eine Vision von Europa, die gleichgeschlechtliche Ehen, Geschlechterquoten, Adoptionsrechte für Homosexuelle sowie einen „auf deutschen imperialen Ambitionen basierenden europäischen Föderalismus“ beinhalte – was von der ungarischen Regierung strikt abgelehnt werde.
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