Erste Tage Oppositionsherrschaft in Budapest
11. Nov. 2019Als Folge der Kommunalwahlen vom 13. Oktober endete die Oberhoheit des Fidez über die ungarische Hauptstadt. Regierungsnahe und -kritische Publikationen nehmen die ersten Tage oppositionellen Herrschens in Budapest unter die Lupe und kommen – natürlich – zu ziemlich unterschiedlichen Bewertungen.
Máté Kulifay stellt die Siege der Opposition in elf ungarischen Städten in den Zusammenhang einer Gegenoffensive linksliberaler Kräfte auf internationaler Ebene. Vor zehn Monaten, so der Autor in einem Leitartikel für die Wochenzeitschrift Hetek, hätten Analysten richtigerweise angenommen, dass das Jahr 2019 von der Rechten dominiert werden würde. Die unterschiedlichen Kräfte der Linken – gut eingebettet in Justiz, NGOs und radikale Bewegungen – hätten jedoch eine Gegenoffensive gestartet: In den Vereinigten Staaten bereiteten sich die Demokraten und das, was man als Staat im Staate bezeichne, auf einen Rachefeldzug gegen das Trump-Lager vor. In Israel werde Premier Netanyahu heftig angegriffen – die Folge: stetig wachsende Instabilität. Gleichzeitig sähe sich in Italien der Souveränitätsverfechter Matteo Salvini unter Quarantäne gestellt. Trumps historischer Sieg, der Erfolg des Brexit sowie die nicht zu erschütternde Zweidrittelmehrheit von Ministerpräsident Orbán in Ungarn seien alles Dinge der Vergangenheit, konstatiert Kulifay und prognostiziert, dass sowohl Ungarn als auch anderen spannende Zeiten bevorstehen würden.
In einem ihrer beiden allwöchentlichen Leitartikel begrüßt Magyar Narancs die Entscheidung des neuen Budapester Stadtrates, den Bau einer Reihe von Museen im und um das Stadtwäldchen herum mit Ausnahme von bereits weit fortgeschrittenen Projekten zu stoppen. Die Nationalgalerie werde also wahrscheinlich auf dem Burgberg bleiben müssen, schreiben die Redakteure des Wochenmagazins. Folglich werde das Vorhaben der Regierung, den Hügel von einem kulturellen in einen Verwaltungsbezirk umzuwandeln, zumindest teilweise vereitelt.
In Demokrata hingegen missbilligt Chefredakteur András Bencsik die neue liberale Bürgermeisterin des Burgviertels für ihre Absicht, die postgraduale Bildungseinrichtung der Nationalbank aus ihrem bisherigen Anwesen zu entfernen. (Ein Gericht hatte die Betriebsgenehmigung des Gebäudes vor einigen Monaten aufgehoben – Anm. d. Red.) Bencsik notiert, dass das Gebäude auf Kosten der Nationalbank „wunderschön“ saniert worden sei. Doch Nachbarn hätten wegen einer schlechten Schalldämmung der Außenwände Klage eingereicht. In diesem Gebäudekomplex sollte auch die Postgraduiertenschule einer chinesischen Universität untergebracht werden. Dazu vermerkt der regierungsfreundliche Publizist: Dieselben Liberalen, die die Vorgehensweise der Regierung gegen die Central European University verurteilt hätten, betrachteten diesen Fall als unproblematisch.
Die neue Mehrheit im Budapester Stadtrat habe bereits bewiesen, dass sich die Linke in den letzten neun Jahren in der Opposition nicht habe erneuern können und dass ihre Zusammenarbeit mit der ehemals rechtsradikalen Jobbik-Partei auf tönernen Füßen stehe, urteilt Tamás Pindroch auf Mandiner. Die Stadt Budapest betreibe 13 Dienstleistungsbetriebe und die Linksparteien hätten bereits Vorstände und Aufsichtsgremien mit ihren einstigen Beamten sowie früheren Mitgliedern aufeinanderfolgender Linksregierungen ausstaffiert. Auch sei ein erster offener Streit zwischen den Linksparteien und Jobbik ausgebrochen, nachdem sich letztere gegen die Absicht gewandt habe, eine Statue des Heiligen Königs Stephan durch ein Denkmal für den kommunistischen Philosophen György Lukács zu ersetzen. Außerdem führe der Bürgermeister von Szeged, László Botka, seine Amtskollegen aus zehn Städten in einem Bündnis zusammen – eine Maßnahme, die Pindroch als Initiative zur Bildung einer zentristischen Partei interpretiert, die die Opposition in die Parlamentswahlen 2022 führen würde. Es existierten bereits zwei rivalisierende Anwärter auf die führende Rolle: Ferenc Gyurcsány mit seiner Demokratischen Koalition sowie Momentum, das in Budapest überraschend gut abgeschnitten habe, aber zur Zeit über kein Netzwerk in ländlichen Gebieten verfüge, notiert Pindroch.
Nach Ansicht von András Pungor muss die neu gewählte und verschiedene oppositionelle Strömungen repräsentierende Stadtführung ihre Ernsthaftigkeit und Regierungskompetenz unter Beweis stellen, damit die Opposition bei den Parlamentswahlen in zweieinhalb Jahren erfolgreich sein könne. Im Wochenmagazin 168 Óra führt der Kolumnist eine Analyse der Denkfabrik Political Capital an. Demnach seien Parlamentswahlen komplizierter, da fast die Hälfte der Sitze anhand von für Parteilisten abgegebenen Stimmen vergeben würde und es für die Opposition schwierig sein werde, sich auf eine gemeinsame Kandidatenliste zu verständigen. Sie könnten natürlich auf mehreren Listen antreten, aber die kleineren Parteien liefen Gefahr, an der Fünfprozenthürde zu scheitern, womit die für sie angegebenen Stimmen unter den Tisch fielen. Deswegen würden sie sich wohl für eine gemeinsame Wahlliste aussprechen. Political Capital bezeichnet die MSZP als eine dieser schwächeren Parteien.
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