Umweltbewusstsein als Instrument politischer Mobilisierung
16. Dec. 2019Kommentatoren aller politischer Couleur machen sich Gedanken darüber, ob und inwiefern grüne Ideen die politisch-ideologische Landschaft umgestalten würden.
Gergely Tóth wirft der Regierung vor, sie spiele die Bedeutung des Klimawandels herunter. Auf dem Nachrichtenportal Index räumt der liberale Kommentator ein, dass die Regierung die potenziellen Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die ungarische Landwirtschaft anerkenne. Allerdings wirft er den Behörden vor, Ängste von Umweltaktivisten als übertrieben abzutun und „die Klimahysterie der Soros- und Geschlechterlobby“ zuzuschreiben. Die Rechte habe erkannt, dass grüne Ideen für die Linke die neue Identitätsdoktrin darstellen sowie Ökothemen die Aufmerksamkeit von Fragen der Migration ablenken könnten, die die Regierung auf der Agenda behalten wolle.
Laut Tóth ist „die Klimapolitik die erste politische Strömung in der Geschichte, die auf unbestreitbaren wissenschaftlichen Fakten basiert“. Der Autor wirft dem Fidesz und anderen populistischen Parteien vor, die globale Erwärmung wegen ihrer politischen Auswirkungen zu ignorieren. Populistische Parteien würden ökologisch orientierte Vorschläge deswegen nicht unterstützen, weil sie die nationale Souveränität beeinträchtigen, die „nationalen Landschaften“ verändern und den wirtschaftlichen Interessen ihrer Wähler schaden würden, argwöhnt Tóth.
Gergely Szilvay weist Tóths Bezichtigungen zurück. Der konservative Kommentator von Mandiner unterstreicht, dass die globale Erwärmung den rechtsorientierten Wählerinnen und Wählern Ungarns große Kopfschmerzen bereite. Die konservative Ideologie lehne ein konsumorientiertes Verhalten ab und bevorzuge nationale – d.h. vor Ort produzierte – Waren. Mit Blick auf die grüne Politik konstatiert Szilvay, dass es ihr vor allem um „das Verkaufen einer geheimen linksextremen Politik“ gehe. In diesem Sinne führe sie die globale Erwärmung auf Ungleichheit, Ausbeutung, Rassismus, patriarchalische Unterdrückung und Kolonialismus zurück. Nach Ansicht von Szilvay handelt es sich bei der „linken Klimahysterie um eine Pseudoreligion“. Die Behauptung, es existiere ein eindeutiger wissenschaftlicher Konsens über das Tempo der globalen Erwärmung, sei absurd, meint Szilvay.
In Magyar Nemzet wirft Örs Farkas Brüssel vor, mit Hilfe von grünem Gedankengut dem Fidesz sowie anderen das nationale Interesse präferierenden Regierungen schaden zu wollen. Nach Einschätzung des regierungsnahen Kolumnisten sind die liberalen Eliten in Brüssel damit gescheitert, den Fidesz sowie Ministerpräsident Orbán mit dem Vorwurf der Verletzung grundlegender demokratischer Normen zu schwächen. Deswegen würden sie den Umweltschutz in Stellung bringen. Farkas vermutet, dass die EU versuchen werde, mit umweltpolitischen Argumenten den Zugang Ungarns zu Strukturfonds zu erschweren.
In Élet és Irodalom zitieren Lóránt Győri und Attila Juhász von der liberalen Denkfabrik Political Capital EU-Umfragen, denen zufolge die Bevölkerung Europas in Fragen der globalen Erwärmung und Migration zunehmend gespalten erscheine. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich grüne Bewegungen für eine internationale Zusammenarbeit stark machen würden, während die Anti-Migrationspolitik eine starke nationalstaatliche Souveränität voraussetze. Die beiden konkurrierenden politischen Lager wollten durch rhetorische Angstmacherei eine „moralische Panik“ in der Gesellschaft erzeugen, notieren Győri und Juhász.
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