Impfprogramm im Kreuzfeuer gegenseitiger Schuldzuweisungen
8. Mar. 2021Regierungsnahe Kommentatoren bezeichnen es als absurd, dass die Opposition, die wochenlang die Aufhebung von Beschränkungen gefordert hatte, dem Kabinett nun ein zu spätes Reagieren auf die dritte Pandemiewelle zur Last legt. Linke und liberale Kommentatoren hingegen werfen der Regierung vor, die Epidemie außer Kontrolle geraten zu lassen.
In einem Kommentar für Magyar Nemzet kritisiert András Kárpáti die Opposition dafür, dass sie ungeachtet von Expertenprognosen über eine dritte Welle Öffnungen fordert. Die unverantwortlichen Vorschläge der Opposition würden das Vertrauen der Öffentlichkeit schwächen und die Bemühungen der Regierung bei der Bekämpfung des Virus behindern, beklagt der regierungsnahe Autor.
In den Augen von Kristóf Trombitás ist es geradezu abscheulich, dass die Oppositionsparteien, die monatelang die Aufhebung der Coronavirus-Beschränkungen gefordert hätten, der Regierung nun vorwerfen würden, sie habe zu spät mit der Verhängung eines strengen Lockdowns reagiert (siehe BudaPost vom 6. März). Auf Vasárnap erinnert der konservative Kommentator daran, dass die Opposition und ihr mediales Umfeld im vergangenen Jahr ähnlich widersprüchliche Vorwürfe erhoben hätten. Zur Erinnerung: Damals hätten sie zunächst die Befürchtung geäußert, die ungarischen Krankenhäuser verfügten nicht über genügend Beatmungsgeräte, dann aber die Regierung kritisiert, sie habe mehr als in den ersten beiden Pandemiewellen tatsächlich benötigt bestellt. Trombitás hofft, dass die Wähler nicht auf „die Lügen und die Propaganda“ der Opposition hereinfallen würden.
Das Kabinett habe komplett versagt und keine kohärente Strategie zur Bekämpfung der Pandemie entwickelt, macht Zsolt Kerner von 24.hu geltend. Der linke Analyst erinnert daran, dass die Regierung Anfang Februar eine nationale Konsultation über den bestmöglichen Zeitplan für die Aufhebung der Notstandsbeschränkungen gestartet habe (siehe BudaPost vom 8. Februar). Zudem kritisiert Kerner, dass die Regierung 74.000 der für das Wochenende geplanten 400.000 Impfungen aufgrund von Problemen mit der Software habe verschieben müssen. (Laut Regierung muss sie ihre Datenbanken miteinander abgleichen. Die verschobenen Impfungen würden nächste Woche stattfinden. Glaubt man aktuellen Daten, dann gehört Ungarns Impfquote von 10,9 Prozent zu den höchsten innerhalb der EU – Anm. d. Red.) Kerner schließt seinen Kommentar mit der Behauptung, die Bilanz der Regierung im Hinblick auf den Coronavirus-Notstand und das Impfgeschehen zeige, dass Ministerpräsident Orbán das Land nicht regieren könne.
Auf Telex wirft auch János Halász der Regierung ein schlechtes Management der Pandemie-Notlage vor. Der liberale Kommentator befürchtet, dass die Behörden mit der Verschiebung tausender geplanter Impfungen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung samt ihres Impfplans weiter beschädigt hätten. Halász wirft der Regierung vor, sie vergeude Energie im Kampf gegen „eingebildete Feinde“ wie George Soros, die Migration, die Gender-Ideologie sowie linke Medien, sei aber nicht in der Lage, einen schlüssigen Plan zum Schutz der Ungarn vor dem Virus zu entwickeln.
Es sei doch absurd, dass die Regierung neue Beschränkungen verhänge, während gleichzeitig noch die nationale Konsultation über eine schrittweise Öffnung des Lockdowns laufe, befindet Csaba Markotay. In Népszava bescheinigt der linksorientierte Kolumnist der Regierung, ihre gerade angekündigten Maßnahmen seien planlos und improvisiert. Als Beispiel nennt Markotay, dass Kirchen und Kindergärten nicht zur Schließung verpflichtet seien. (Die Regierung erklärte dazu, dass die Infektionsraten in Kindergärten sehr niedrig seien. Die lutherische und die calvinistisch-reformierte Kirche haben angekündigt, dass sie keine öffentlichen Gottesdienste abhalten würden, während die katholische Kirche die jeweiligen Bischöfe entscheiden lässt, ob Gottesdienste stattfinden oder nicht. Zwei Diözesen im Raum Budapest werden ab dem 8. März zumindest bis Ostern keine öffentlichen Messen mehr feiern – Anm. d. Red.) Markoktay äußert die Befürchtung, dass auch der zweiwöchige Lockdown die Ausbreitung des Virus nicht werde aufhalten können, falls die Regierung nicht die Zahl der Tests erhöhe und dem Lehrpersonal bei der Impfung Vorrang einräume.
Gergely Csiki ist der Meinung, dass das öffentliche Gesundheitswesen an seine Grenzen gestoßen sei und man ihm nicht zumuten könne, Massenimpfungen in einem höheren Tempo durchzuführen. Wenn die Regierung ihr Ziel erreichen und bis Anfang April 2,4 Millionen Ungarn impfen wolle, müsse sie ihre Strategie überdenken, empfiehlt der Portfolio-Kommentator. Abschließend schlägt er vor, dass die Regierung private Gesundheitsdienstleister anwerben könnte, um das Impfgeschehen zu beschleunigen.
In einem separaten Artikel fragt sich das Portal für Wirtschafts- und Finanznachrichten, ob ungarische Impfpässe einmal in der EU akzeptiert würden. Laut Portfolio schreibt eine nicht näher spezifizierte EU-Richtlinie vor, dass Impfpässe detaillierte Informationen über den verabreichten Impfstoff enthalten müssten. Die ungarische Regierung habe jedoch beschlossen, dass ihr Impfpass die Art des verwendeten Impfstoffs nicht offenbaren werde. Daher könnten Personen, die mit einem nicht von der EU lizenzierten Vakzin geimpft worden seien, nicht mit ihrem entsprechenden Ausweis reisen – es sei denn, die ungarische Regierung gebe zumindest an, ob das verimpfte Vakzin von der EU lizenziert worden sei. (Die EU-Arzneimittelbehörde untersucht derzeit den russischen Impfstoff, nicht aber den chinesischen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der unter anderem auch für die Koordinierung von Impfungen zuständig ist, betonte, es sei „in Ordnung”, wenn Länder russische und chinesische Impfstoffe verwenden würden – Anm. d. Red.)
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