Konsequenzen des Ukraine-Krieges für Ungarn
7. Mar. 2022Publizisten und politische Analysten aus dem gesamten politischen Spektrum fragen sich, ob und – falls ja – wie sich der Ukraine-Krieg auf die Parteipräferenzen der Ungarn und den Ausgang der Parlamentswahlen in vier Wochen auswirken wird.
Laut einer vom Meinungsforschungsinstitut Nézőpont veröffentlichten Umfrage glauben 61 Prozent der Ungarn, dass Ministerpräsident Viktor Orbán die ungarischen Interessen besser durchsetzen könne als Péter Márki-Zay, der Spitzenkandidat der Opposition bei den Wahlen im April. Demnach hielten lediglich zehn Prozent der Befragten und nur 43 Prozent der Oppositionsanhänger Péter Márki-Zay für diese Aufgabe besser geeignet als Orbán. 80 Prozent aller Umfrageteilnehmer vertraten die Ansicht, dass Ungarn keine Waffen an die Ukraine liefern sollte.
In einer anderen Erhebung des Instituts Publicus, die unmittelbar vor dem Einmarsch in die Ukraine durchgeführt wurde, äußerten 67 Prozent der Befragten die Auffassung, dass Ministerpräsident Orbán den Interessen von Präsident Putin dienen und die Sicherheit Ungarns und Europas gefährden würde. In der gleichen Umfrage stimmten 82 Prozent der Befragten der These zu, dass Ungarn Teil des Westens sei. 88 Prozent waren der Meinung, dass die NATO-Mitgliedschaft die Sicherheit Ungarns stärke.
In der Tageszeitung Magyar Nemzet bezeichnet József Horváth die Haltung der Opposition zum Ukraine-Krieg als unverantwortlich und dilettantisch. Der Analyst der regierungsnahen Denkfabrik „Zentrum für Grundrechte“ erinnert daran, dass Oppositionspolitiker die Regierung zur Lieferung von Waffen an die Ukraine aufgefordert hätten. Dies, so Horváth, sei ein rein politischer Schachzug, der die Sicherheit Ungarns gefährde. Horváth hofft, dass die Ungarn bei den Parlamentswahlen im April ihr Vertrauen nicht in die Opposition setzen werden.
Ministerpräsident Orbán mache Ungarn zu einem engen Verbündeten von Putins Russland und es zugleich von ihm abhängig, notiert die ehemalige MSZP-Vorsitzende Ildikó Lendvai. In Népszava behauptet sie, dass man mittlerweile „nicht mehr sagen kann, wo die Interessen Russlands enden und wo die Interessen Ungarns beginnen“, was sie auf die anti-westliche und pro-russische Politik der Regierung zurückführt. Es wäre unvernünftig, die Bewältigung der aktuellen geopolitischen Krise der derzeitigen Regierung anzuvertrauen, glaubt Lendvai.
Auch Balázs Böcskei macht sich Gedanken über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die ungarischen Parlamentswahlen. In 168 Óra kommentiert der linke Analyst: Unter Ministerpräsident Orbán habe sich Ungarn zu einem der zuverlässigsten Partner des russischen Präsidenten Putin entwickelt und die ungarisch-russische Wirtschaftspartnerschaft einen Aufschwung erlebt. Nach dem Einmarsch in der Ukraine könnten sich laut Böcskei die Wähler vom Fidesz abwenden und zum Ausdruck bringen, dass sie Ungarn nicht als einen engen Verbündeten Moskaus erleben wollten.
In einem Interview mit dem Wochenmagazin Magyar Demokrata vertritt der Historiker Áron Máthé die Ansicht, dass Ungarns strategische Priorität darin bestehe, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Um dies zu erreichen, sollte Ungarn gute Beziehungen zu allen wichtigen Kräften in der Region unterhalten, so Máthé. Die wichtigste Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg sei, dass ein Waffen lieferndes Ungarn bald vollkommen in den Krieg hineingezogen werde. Das Gleiche würde passieren, sollte Ungarn im gegenwärtigen Konflikt dem Rat der Opposition folgen und Waffen an die Ukraine liefern.
Árpád W. Tóta von Heti Világgazdaság wirft ein, dass Ungarn unter Orbán dem illiberalen Weg von Präsident Putin gefolgt sei. Der liberale Kommentator beschuldigt die Regierung und ihr mediales Gefolge, ein äußerst positives Bild von Russland und seinem Führer zu zeichnen und russische Staatspropaganda zu übernehmen. Ungarn sei nach Putins Einmarsch in die Ukraine in den Augen der „zivilisierten Welt“ zu einem Paria geworden, weil es „ein Verbündeter von Präsident Putin“ sei. Tóta behauptet gar, dass sich die Ungarn bewusst für das Schicksal entschieden hätten, das die Ukrainer vermeiden wollten, indem sie sogar ihr Leben opfern würden.
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